WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Unruhen in Bahrain: "Das Regime von König Hamad ist in Panik geraten"

Ausland Unruhen in Bahrain

"Das Regime von König Hamad ist in Panik geraten"

Senior Editor
Saudi-Arabien und Pakistan helfen offenbar dabei, in Bahrain Schiiten zu jagen. Wegsehen kann der Westen nicht, Bahrain ist Heimatbasis der 5. US-Flotte.

Was in der Nacht auf dem Lulu-Platz in Bahrains Hauptstadt Manama passierte, davon hallte das Internet am Tag danach wider. Und je mehr Stimmen, je mehr Erzählungen und Details aus der nun vollständig vom Militär kontrollierten Stadt dringen, desto mehr verdichtet sich ein tragischer Eindruck:

Das Regime von König Hamad wollte die Demonstranten am Lulu-Platz nicht einfach vertreiben – es ging darum, möglichst hart zuzuschlagen: „Jemandem vor mir haben sie den Kopf geschossen“, wird eine junge Journalistin im Kurznachrichtendienst Twitter zitiert. „Sie haben einen Mediziner zusammengeschlagen und dann wieder losgelassen, damit du nicht bei uns stirbst‘“, schreibt ein anderer.

Und der „New York Times“-Journalist Nicholas Kristof tweetet unablässig: „Etwa zehn Rettungssanitäter wurden von der Polizei angegriffen. Ich habe mit ihnen gesprochen und ihre Verletzungen gesehen“ – „Die Regierung hat verboten, dass Ambulanzen ausrücken, sagt das Krankenhaus“ – „Ein Krankenwagen-Fahrer hat mir gerade erzählt, ein saudischer Offizier habe ihm eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, er bringt ihn um, wenn er Verletzten hilft.“ Mindestens fünf Menschen starben. Die Räumung des Platzes in der Nacht zum Donnerstag sollte wehtun, so scheint es. Darauf deuten nicht nur schwer überprüfbare Internet-Äußerungen hin, sondern auch glaubwürdige Berichte.

Schon der Zeitpunkt der Räumung passt eher zu einem Überfall, als zu einer geordneten Polizeiaktion: Es war offenbar mitten in der Nacht, als die Einsatzkräfte kamen . Ohne Warnung – so Augenzeugen – gingen sie mit Tränengas, Knüppeln und Blendgranaten auf die schlafende Protestierer los, die hier seit drei Tagen in einem provisorischen Zeltlager ähnlich jenem auf dem Tahrir-Platz in Kairo für größere Mitsprache der Bevölkerung in dem Emirat demonstriert hatten, insbesondere für die Rechte der schiitischen Bevölkerungsmehrheit.

Schrotladungen im Gesicht und Brustkorb

Und Reporter der „New York Times“ berichten aus den Krankenhäusern der Stadt noch Schwerwiegenderes: Dort seien Menschen eingeliefert worden, denen offenbar Schrotladungen ins Gesicht und den Brustkorb gefeuert wurden, offenbar während sie lagen. Nach Angaben der schiitischen Oppositionspartei Wifak fehlte noch von mindestens 60 Demonstranten jede Spur.

„Offenbar ist das Regime in Panik geraten“, sagt Salman Shaikh, Direktor des amerikanischen Think Tanks Brookings Institution im Emirat Katar. „So ist eine instabile Lage in eine gewalttätige umgeschlagen. Doch wenn wir eines aus den Ereignissen der letzten Wochen gelernt haben, dann das: Wenn Du auf dein eigenes Volk einschlägst, dann gerätst Du nur noch mehr unter Druck.“ Deshalb stürzte etwa Tunesiens Diktator Ben Ali im Januar. Für die Panik der Herrscher von Bahrain gibt es indes besondere Gründe.

Das Herrscherhaus der al-Chalifa stellt nicht nur als Familie eine winzige Elite dar, es gehört auch einer religiösen Minderheit an: Die Herrscher von Bahrain sind seit jeher Sunniten, während ihr Volk mehrheitlich dem schiitischen Islam anhängt. Wie sehr sich die Machthaber auf ihrer 500.000-Einwohner-Insel in der Defensive sehen, darauf deutet die von verschiedenen Seiten berichtete Einzelheit der letzten Nacht, dass unter den Einsatzkräften zahlreiche auswärtige Befehlsträger aus sunnitischen Militärmächten wie Pakistan und Saudi-Arabien gewesen seien.

Tatsächlich spielen sie im Sicherheitsapparat Bahrain schon lange eine wichtige Rolle. Und seit Jahrzehnten beklagen sich die Schiiten über wirtschaftliche und politische Benachteiligung. Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitsbehörden bei der Unterdrückung schiitischen Protestes wurden immer wieder laut. Doch wie bei anderen Verbündeten im arabischen Raum übersah der Westen geflissentlich solche Grausamkeiten.

Immerhin ist der Ölstaat auch die Heimatbasis der 5. US-Flotte, einem Grundstein amerikanischer Sicherheitspolitik mitten im persischen Golf, direkt gegenüber von Washingtons Erzfeind Iran. Und das Mullahregime wurde in der Vergangenheit immer wieder bezichtigt, den Widerstand der schiitischen Glaubensbrüder gezielt zu schüren, um die sunnitischen Herrscher zu vertreiben und einen Bündnispartner an der Südküste des Golfs zu gewinnen. Auch jetzt vermutet mancher Beobachter hinter den Demonstrationen von Manama die Hand Teherans.

Anzeige

„Ich glaube, die Iraner haben bei weitem weniger Einfluss auf die Bewegung, als sie gerne hätten“, sagt der Experte Shaikh, der als Spezialist für Konfliktlösung hochrangige Spitzendiplomaten in mehreren Krisengebieten beriet. „Es scheint, als wenn sie ziemlich marginalisiert sind.“ Dafür sprächen Auftreten und Forderungen der Revolte, die Parolen, die Sprüche auf Plakaten und transparenten – und die Tatsache, dass auch zahlreiche Sunniten teilnähmen.

„Das ist eher ein breites gesellschaftliches Bündnis für mehr Bürgerbeteiligung, nicht vor allem für die Schia oder den Islam“, so Shaikh. „Der Protest in Bahrain folgt den jugendlichen Bewegungen, die wir jetzt auch in anderen arabischen Ländern gesehen haben: sie sind egalitär und dezentral über das Internet organisiert. Das prägt auch ihr Denken und das passt schlecht zum iranischen Konzept.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema