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Deutschland Plagiatsvorwurf

Guttenberg ist Doktor nur im Geiste. Vorerst

Der Verteidigungsminister hat sich mit seiner Dissertation Feinde gemacht. Kommen keine weiteren Fehler ans Licht, gäbe es einen Weg aus der Misere.

Am Freitagvormittag sagte Karl-Theodor zu Guttenberg im 1.Stock des Bendlerblocks am Berliner Reichpietschufer zu den Plagiatsvorwürfen um seine Doktorarbeit: „Jede weitere Kommunikation über das Thema werde ich von nun an ausschließlich mit der Universität Bayreuth führen.“ Tags darauf lief ein Interview mit dem Magazin „Focus“ über die Agenturen. Auch wenn es womöglich vor dem Presseauftritt geführt worden war – der Eindruck verstärkte sich, dass man beim Verteidigungsminister nun leider zwischen den Zeilen lesen muss, wie bei anderen Politikern. Das galt auch für den Wortlaut der Erklärung selbst.

Guttenberg gab „Fehler“ in der Arbeit zu und sagte: „Über jeden einzelnen dieser Fehler bin ich selbst am unglücklichsten. Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht.“ – „Es wurde“ statt „Ich habe“ – der Wechsel ins Passiv macht stutzig. Guttenberg drückt sich zwar manchmal etwas umständlich aus, aber dies war ein vorformulierter Text. Es gibt bei manchen in Berlin eine Ahnung, dass der Wechsel eine Stolperschwelle kaschieren könne, die Vorsicht bei der Bewertung aller Äußerungen zur Doktorarbeit geböte.

Die Erklärung zu der Arbeit und dem vorläufigen Verzicht auf die Führung des „Dr.“ im Namen hatte Guttenberg erst am Nachmittag und in demütigem Ton abgeben wollen. Der Angriff auf Bundeswehrsoldaten in Afghanistan kam dazwischen. Guttenberg wusste zunächst nicht, wie viele Opfer die Terrorattacke gefordert hatte. Er wusste anfangs vor allem nicht, ob die Bundeswehr an dem Angriff auf dem „Beobachtungspunkt Nord“ etwaige Mitschuld tragen könnte, weil vielleicht die Sicherheit unzureichend war. Bei einem vergleichbaren Angriff auf eine CIA-Basis 2010 hatte Nachlässigkeit der US-Seite die Tat möglich gemacht. Ein Fehler der Bundeswehr hätte Guttenberg vor die Frage des Rücktritts stellen können. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

In dieser Situation entschied er sich, die öffentliche Verteidigung der Doktorarbeit vorzuziehen, und sei es, damit ein etwaiger Rücktritt am Nachmittag wegen des Terrorangriffs nicht wie ein Schuldeingeständnis in der Frage seines akademischen Grades aussehen würde. Feldjäger am Eingang zum Ministerium wurden angewiesen, die dort seit der Frühe wartenden Radio- und Fernsehteams umgehend ins Haus zu bitten. Als wenig später weitere Medienvertreter eintrafen, verwehrten die Feldjäger ihnen brüsk den Zutritt. Eine Anweisung, dies zu tun, hatte Guttenberg freilich nicht gegeben. Ebenso wenig hatte er anscheinend bedacht, dass zeitlich parallel auf der anderen Seite des Tiergartens gerade die wöchentliche Pressekonferenz der Bundesregierung stattfand. Die Journalisten dort fühlten sich düpiert. Es ging eben alles hastig zu.

Guttenberg verliert Sympathie der Medien

Mit der Nervenanspannung kam bei diesem Auftritt ein nicht vorgesehener herrischer Unterton zum Tragen. Mit einem fast abschätzig nachgesetzten „Okay!“, schon halb vom Mikrofon abgewendet, beendete Guttenberg die Erklärung. Er wirkte dabei, als betrachte er die Plagiatsvorwürfe als so ungerechtfertigt wie Eierwürfe von Chaoten auf ihn. Das ist ein tragischer Irrtum. Die Umfragen scheinen zwar nahezulegen, dass die große Mehrheit der Wähler das Thema für irrelevant oder für letztlich verzeihlich hält, ähnlich wie es bei der Alkoholfahrt Margot Käßmanns der Fall war. Doch das ist nicht der Punkt.

Guttenberg ist dabei, die Sympathie der Medien zu verlieren, die in der Frage von Textübernahmen, vulgo des Abschreibens, entgegen einem landläufigen Urteil extrem empfindlich geworden sind, zumal seit es das Internet gibt. Gänzlich verpönt ist die Einreichung von Fremdleistungen bei Bewerbungen um renommierte Preise wie dem Theodor-Wolff-Preis. Ein Doktorgrad gilt durchaus als das wissenschaftliche Äquivalent solcher Preise. Innerhalb wichtiger Publikationsorgane gab es zudem seit Guttenbergs Aufstieg ein Riss zwischen Journalisten, die den Aufstieg skeptisch bis neidisch verfolgten, und ihren Chefredakteuren, die den jungen Star vor vorschneller Kritik intern in Schutz nahmen. Die Skeptiker haben jetzt Oberwasser und manche Chefredakteure ein schlechtes Gewissen. Das kann Guttenberg in einem etwaigen Machtkampf um die Bundeswehrreform oder um die Führung der Unionsparteien gefährlich werden.

Rund 120 verdächtige Passagen

Die Skeptiker sind jetzt auf der Suche nach dem Skandal. In Guttenbergs Doktorarbeit gibt es mehrere Fundstellen schweizerischer Herkunft. Neben der Übernahme von Textpassagen der Autorin Klara Obermüller handelt es sich dabei um einen Vortrag der früheren Schweizer Nationalrätin Gret Haller , die heute als Gastwissenschaftlerin in Frankfurt am Main tätig ist. Die Frage, warum auch Schweizer Quellen für die Doktorarbeit einen gewissen Rang besitzen, könnte noch einmal von Belang werden.

Dasselbe gilt für die Übernahme einer Textpassage aus einem Reiseführer über Kanuwanderungen in Kanada und Alaska der Autoren Bernhard und Reinhard Rosenke. Dieser 2002 erschienene Reiseführer ist nur bei books-on-demand erhältlich, also nur auf ausdrückliche Bestellung. Es wird auf Interesse stoßen, wer den Reiseführer bestellt hat, und ob es mit Blick auf einen bestimmten Namen einen zeitlichen Zusammenhang mit einer solchen privaten Kanutour geben könnte.

Unabhängig von solchen Recherchesträngen (mit Unschuldsvermutung) ist die Ballung von mittlerweile rund 120 verdächtigen Passagen in der Doktorarbeit auch ein Fall für die Universität Bayreuth – aber in anderer Hinsicht, als diese es derzeit suggeriert. Die juristische Fakultät der Universität hat von Karl-Theodor zu Guttenberg eine schriftliche Erklärung verlangt. Das ist einerseits in der Promotionsordnung so vorgesehen. Andererseits stünde der juristischen Fakultät ebenfalls eine Erklärung sehr gut an. Wie kann es passieren, dass einzelne Blogger binnen weniger Stunden etliche kopierverdächtige Textpassagen finden, aber die vier Prüfer Guttenbergs keine einzige? Wie kann es sein, dass eine mit dem höchsten Ehrenlob summa cum laude eingestufte Arbeit anscheinend nicht auf solche Textstellen durchgeprüft wurde? Was ist, mit anderen Worten, der juristische Doktorgrad der Universität Bayreuth wert?

Unangenehme Lage der CSU

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Zumal dann, das sei hinzugefügt, wenn in der Promotionsordnung der Universität die Aberkennung eines Doktorgrades nach den Bestimmungen des Bayerischen Hochschulgesetzes geregelt wird, darüber hinaus aber auch „nach dem Gesetz über die Führung akademischer Grade vom 7.Juni 1939“ – einem Gesetz, das seit 2007 aufgehoben ist? Zu solchen Fragen sich zu äußern wird die Universität Gelegenheit haben, aber sie sollte die Gelegenheit auch nutzen. Sie sollte nicht so tun, als gehe es hier ausschließlich um Karl-Theodor zu Guttenberg. In der Weiterung solcher Fragen ist zudem die CSU in einer unangenehmen Lage. Zwar wird das Hochschulministerium derzeit von der FDP geführt.

Das Ministerium hat ausführlich dargelegt, dass über Doktorgrade ausschließlich in der Autonomie der Universität Bayreuth entschieden werde. Doch die ganze Geschichte der Universität ist mit der CSU eng verbunden. Eine Anmutung, es werde dem wichtigen Nachwuchspolitiker der CSU ein Gefallen getan, könnte der Führungspartei der bayerischen Staatsregierung unangenehm werden. Deshalb ist es auch fraglich, ob die Kommission, die jetzt Guttenbergs Doktorarbeit noch einmal durchsieht, ohne Weiteres den Paragrafen 16 Absatz 3 der Bayreuther Promotionsordnung anwenden könnte.

Ein reines Gedankengerüst?

In ihm steht: „Waren die Voraussetzungen für die Zulassung zur Promotion nicht erfüllt, ohne dass der Kandidat hierüber täuschen wollte, und wird diese Tatsache erst nach Aushändigung der Urkunde bekannt, so wird dieser Mangel durch das Bestehen der Doktorprüfung geheilt.“ Mit anderen Worten: Karl-Theodor zu Guttenberg könnte seine Doktorarbeit noch einmal schreiben, die Prüfung wiederholen, und so die Zweifel an der Eigenständigkeit seiner intellektuellen Leistung ausräumen, die die aktuelle Version seiner Doktorarbeit geweckt hat. Guttenberg scheint mit seinem Satz vom Freitag („Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht“) auch genau auf diesen Punkt der Promotionsordnung abzielen zu wollen.

Vielleicht wird es eines Tages eine Erklärung dafür geben, warum bereits die ersten beiden Absätze der Einleitung zu Guttenbergs Arbeit dem Anfang eines Artikels in der „FAZ“ von 1997 bis fast aufs Wort gleichen. Es erscheint vage vorstellbar, dass Guttenberg zu Beginn seiner Vorarbeiten ein Rohkonzept erstellt hat, das aus eigenen Notizen und aus Fremdtexten bestand, die ihm inhaltlich gefielen. Die Unterlagen waren womöglich ohne Autorhinweis als reines Gedankengerüst probestrukturiert, um die eigene Argumentation zu prüfen. Es erscheint vage vorstellbar, dass er, der über Jahre nur sporadisch am Text arbeitete, völlig vergessen hatte, dass dieses sich schön lesende Konzept auch aus Fremdquellen bestand.

Im Laufe mehrerer sehr anstrengender Jahre vergisst der Mensch einiges. Die gezielte Änderung einiger Formulierungen oder Wörter in solchen Quellentexten freilich würde dadurch nicht erklärt. Warum überhaupt musste die Arbeit sein? Fand Guttenberg, der 2002 in den Auswärtigen Ausschuss des Bundestages einrückte, dass es gut wäre, wenn nicht nur Guido Westerwelle, sondern auch er selbst einen Dr.jur. vorweisen könne? Beide wollten Außenminister werden. Diplomaten haben es gern, wenn der Minister ein guter Jurist ist. Vielleicht wird man dies eines Tages erfahren, wenn der Streit um die Doktorarbeit sein Ende gefunden hat.

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