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Steinmeier fordert Marshallplan der EU für Nordafrika

Bundestag Untersuchungsausschuss zu Kundus Bundestag Untersuchungsausschuss zu Kundus
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagt: Europa ist in der Krise
Quelle: dpa
Der SPD-Fraktionschef wirft der Regierung vor, Europa als Ballast zu empfinden. Außerdem erklärt Steinmeier, warum das mit Politik und Geheimnissen nicht so einfach ist.

Welt Online: Herr Steinmeier, erinnern Sie die Umwälzungsprozesse in Teilen der arabischen Welt an die Entwicklung in Ost- und Mitteleuropa 1989/90? Damit hatte damals auch niemand gerechnet.…

Frank-Walter Steinmeier: … Stimmt. Ich freue mich riesig, dass nun auch in Tunesien, Ägypten und anderswo der Ruf nach Freiheit und Demokratie laut wird. Es ist wunderbar, dass viele mutige Menschen auf die Straße gehen und für ihre Rechte streiten. Dann enden aber auch die Parallelen! Der Aufbruch in Ägypten hat noch keine feste Orientierung; anders als 1989 in der damaligen DDR haben die jungen Ägypter in ihrer Nachbarschaft kein politisches Modell, das als Zeitbild taugt. Deshalb muss Europa hier helfen, auch aus Eigeninteresse.

Welt Online: Ihr Amtsvorgänger als Außenminister Joschka Fischer vermisst ein europäisches Vorgehen insgesamt, auch die Person und Tradition des Europäers Helmut Kohls. Stimmen Sie ihm zu?

Steinmeier: Europa ist in einer tiefen Krise. Es gibt keinen Regierungschef eines großen Landes, der den Ehrgeiz hat, Europa aus dieser Lage herauszuführen. Hierzulande wird in Sonntagsreden die Zukunft unseres Landes im vereinten Europa beschrieben. Im Alltag empfindet die Bundesregierung Europa mehr als Ballast denn als Chance und man sieht es der Kanzlerin an! Wenn sich diese Haltung nicht ändert, wird sich der europäische Himmel weiter verdüstern.

Welt Online: Was kann Europa in dieser Lage konkret tun?

Steinmeier: Bislang fällt Europa als wichtigster Nachbar dieser Region aus. Was wir bei Gründung der Mittelmeer-Union feierlich beschrieben haben, wird der Realität nicht gerecht. Deshalb muss Europa endlich etwas anpacken, was der Größe der Herausforderung gerecht wird. Der EU-Marshall-Plan für den Maghreb gehört auf die Tagesordnung. Klar, fast alle Rahmenbedingungen sind anders als im Europa der Nachkriegssituationen 1945. Aber da liegt eine gewaltige Aufgabe in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, die bewältigen wir nicht mit Presseerklärungen und Statements. Jetzt wird von Europa ein wirklich politischer Wurf erwartet!

Welt Online: Was könnte ein solcher Marshallplan noch enthalten?

Steinmeier: Es beginnt mit der Unterstützung bei der Demokratisierung der Gesellschaft. Etwa die Hilfe für ein neues Wahlrecht und eine Verfassung. Wir müssen die Märkte der EU für Waren aus Nordafrika öffnen. Der wirtschaftliche Austausch ist zu intensivieren. Dazu zählt, zu europäischen Investitionen in Nordafrika zu motivieren. Vielleicht können Energie-Ringleitungen in Feindschaft stehende Staaten wieder zu einander zu bringen. Die Region ist ja leider immer noch kein durchgängiger, durchlässiger Wirtschaftsraum. Die wichtige Grenze zwischen Marokko und Algerien ist nach wie vor geschlossen. Gefragt ist ferner ein Austausch etwa mit Blick auf das Bildungssystem. Wir müssen junge Leute unterstützen, ihre eigenen Länder zu entwickeln, wir brauchen einen Studentenaustausch. Wir werden dieseits und jenseits des Mittelmeeres sicherlich keine gleichen Gesellschaftsformen bekommen. Annäherungen aber sind für beide Seiten hilfreich. So zynisch ist hoffentlich niemand.

Welt Online: Die Gründe zu demonstrieren oder zu fliehen sind oft identisch. Ist die europäische Flüchtlingspolitik den Aufgaben gewachsen? Und ist der europäische Appell „Baut doch erst einmal Eure Demokratie auf“ nicht ziemlich wohlfeil?

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Steinmeier: Wir hatten doch mit viel mehr, mit Zehntausenden Flüchtlingen aus Tunesien gerechnet! Nun gibt es etwa 5500 Flüchtlinge.

Welt Online: Im März diskutieren Sie mit dem amerikanischen Botschafter über die Frage „Braucht Politik Geheimnisse?“ Braucht Politik Geheimnisse?

Steinmeier: Na ja, ich habe ja sehr bewusst das Thema als Frage gestellt, wie die meisten eine andere Antwort darauf haben, ein klares „Nein“. Ich glaube die Antwort ist komplizierter: Transparenz ist notwendig. Aber spätestens die Veröffentlichung der geheimen Verhandlungsstände im israelisch-palästinensischen Konflikt zeigt, dass Transparenz nicht immer eine bessere Zukunft beschert. Für die Politik ist es manchmal notwendig, geschützte Räume zu haben, um Argumente und Lösungen zu probierten, ohne dass sie zum selben Zeitpunkt in die Öffentlichkeit finden. Ganz sicher bin ich mir in einem: Wikileaks ist nicht gleichbedeutend mit weltweiter Demokratie. Aber dieses Spannungsfeld zwischen Vertraulichkeit und Transparenz, das wollen wir diskutieren.

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