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Deutschland Meinungsforscher

"Ladendiebstahl wäre schlimmer als Abschreiben"

Richard Hilmer Richard Hilmer
Infratest-Chef Richard Hilmer
Quelle: picture-alliance / ZB/Zentralbild
Infratest-Chef Richard Hilmer erklärt, warum das Ansehen des Verteidigungsministers trotz der Plagiatsvorwürfe keinen Schaden genommen hat.

Welt Online: Herr Hilmer, die große Mehrheit der Deutschen scheint trotz der Plagiatsaffäre weiter zum Verteidigungsminister zu stehen. Kann Guttenberg sich alles erlauben?

Richard Hilmer: Nein, das sicherlich nicht, auch wenn sein Ansehen unseren Blitzumfragen zufolge bisher tatsächlich nicht gelitten hat. Wir erleben hier das Aufeinandertreffen zweier Welten. Da ist die akademische Welt, die für die Medien als Bezugspunkt wichtig ist. Und auf der anderen Seite die Welt des Normalbürgers, der dem Ehrenkodex, der in der Wissenschaft herrscht, nicht viel abgewinnen kann. Zwar glaubt man durchaus, dass er in seiner Doktorarbeit geschummelt hat, aber das gilt den Menschen in ihrer Mehrzahl nicht als bestrafenswerter Betrugsfall und somit als Rücktrittsgrund. Ein Ladendiebstahl würde wahrscheinlich anders beurteilt werden als der Diebstahl geistigen Eigentums. Bislang halten aber sogar auch die Höhergebildeten an ihm fest.

Welt Online: Was bewirken die widersprüchlichen Erklärungen, die der Minister abgegeben hat?

Richard Hilmer: Es gibt eine schwer messbare Erosion der Glaubwürdigkeit, die in solchen Fällen einsetzen kann. Ich kann mir vorstellen, dass jeder Schritt, den Guttenberg jetzt zurückweicht, jeder Fehler, den er jetzt noch einräumt, Folgen haben wird. Sollte sich etwa trotz gegenteiliger Beteuerungen nun noch herausstellen, dass Guttenberg Ghostwriter engagiert hatte, dann wäre ein Punkt erreicht, an dem seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht. Ganz offensichtlich ist die Bevölkerung in der Frage der Sanktionierung seiner Fehler aber deutlich zurückhaltender als die Medien. Sie schätzt ihn als außergewöhnlich begabten und redegewandten Politiker.

Welt Online: Kennen Sie vergleichbare Fälle aus der Vergangenheit?

Richard Hilmer: Ja, denken Sie an einen von Guttenbergs Vorgängern aus der SPD, Rudolf Scharping. Der hatte zwar nie so hohe Beliebtheitswerte wie Guttenberg, aber die Mehrheit der Deutschen mochte ihn schon. Als seine fragwürdige Kooperation mit dem PR-Berater Moritz Hunzinger ruchbar wurde, da fanden die Rücktrittsforderungen der Opposition bei den Leuten ebenso keinen Widerhall. Erst, als die berühmten Bilder vom Pool-Plansch mit Gräfin Pilati erschienen, geriet das Fass zum Überlaufen. Noch besser vergleichbar mit Guttenberg ist aber der Fall Joschka Fischer ...

Welt Online: ... eigentlich ein ganz anderer Politiker-Typ als Guttenberg ...

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Richard Hilmer: Jein. Fischer und Guttenberg sind ähnlich profilierte Ausnahmepolitiker, die sich von der Masse der Volksvertreter abheben. Und gerade deshalb, weil sie in gewisser Weise anders sind als der Rest, scheint das Publikum stärker an ihnen festhalten zu wollen. Als Anfang 2000 Bilder des damaligen grünen Außenministers Joschka Fischer erschienen, die ihn als jungen Frankfurter Straßenkämpfer zeigten, da verlangten etliche Kommentatoren und Oppositionspolitiker seinen Rücktritt. Aber die Bürger wollten das nicht einsehen, sie hielten an Fischer fest. Es kam auch danach nie zu einer Fehlleistung, die als ausreichender Rücktrittsgrund für Fischer akzeptiert wurde. Und ob Guttenberg diesen Punkt erreichen wird, steht in den Sternen.

Welt Online: Bis jetzt ist das jedenfalls nicht der Fall.

Richard Hilmer: Im Gegenteil! Offensichtlich haben die neuen Vorwürfe gegen ihn dazu geführt, dass die Reihen noch fester geschlossen wurden. Bei den Unionsanhängern kann er sich so einer fast hundertprozentigen Zustimmung erfreuen. Aber Guttenberg wird grundsätzlich in allen Bevölkerungsschichten geschätzt sowie – und das ist bemerkenswert – auch von Anhängern anderer Parteien.

Welt Online: Gibt es überhaupt eine Gruppe, die sich kritisch mit dem Verteidigungsminister auseinandersetzt?

Richard Hilmer: Ja, und zwar die jüngeren Befragten im Alter zwischen 18 und 24, die mit der Problematik des Abkupferns von Arbeiten vielleicht häufiger konfrontiert werden und deren Ausbildungszeit oft noch nicht so lang zurückliegt. Dort sagen 60 Prozent: Was Guttenberg getan hat, geht über das Schummeln im üblichen Sinne hinaus und ist Betrug.

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