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Geschichte "Area 51"

Stalin, Mengeles Monster und der Roswell-Absturz

Die riesige "Area 51" in Nevada gilt als das geheimste Gelände der USA. Ein Buch bringt Neues ans Licht, über Roswell, Stalin und die Mondlandung.

Hervey Stockman war 32 Jahre alt und ein Fliegerass der US-Luftwaffe mit 168 Feindflügen im Zweiten Weltkrieg und über Korea, als ihn Ende 1955 die CIA in ein Hotel in Austin, Texas, einlud. Stockman, dessen Furchtlosigkeit unter Kameraden legendär war wie sein sanftes Auftreten, hatte nicht die geringste Ahnung, was die „Firma“, gerade sieben Jahre alt und ohne attraktives Karriereprofil, ihm bieten wollte.

Bevor er recht begriff, was geschah, fand er sich im Januar 1956 am Groom-Salzsee in der Wüste Nevadas in einer Gruppe von sieben hoch qualifizierten Männern wieder: „Detachment A“, Testpiloten für den Prototyp des Spionageflugzeugs U-2 von Lockheed. Sein Leben lang erinnerte sich Stockman an die Handvoll schäbiger Wohnwagen, in denen sie hausten, die einzigen festen Gebäude neben den Hangars. Es war das Ende der Welt. Unterhaltung nach dem Dienst kam von heulenden Kojoten, dem Schnauben verirrter Wildpferde und einem überwältigend funkelnden Sternenhimmel.

1956 flog die erste U-2 über die UdSSR

Die Männer trugen Pseudonyme, Stockman nannte sich „Sterritt“, die CIA führte ihn als „Samson“. Es gab kein Entrinnen aus der Vorhölle, die wenigen Straßen in das von hohen Bergen umgebene Tal wurden von bewaffneten Posten bewacht. Auch an Wochenenden, wenn das Detachment A zu angenehmeren Apartments im kalifornischen Hollywood geflogen wurde, ließ man die Männer nie aus den Augen. Der KGB, die sowjetische Konkurrenz, so raunte man, sei überall.

Hervey Stockman wartete nicht auf die Russen: Am 3. Juli 1956 startete er bei Wiesbaden zum ersten U-2-Flug über der UdSSR. Seine 500 Pfund schwere Bordkamera machte aus 20 Kilometer Höhe ihre sensationellen Bilder, die „mehr sahen als 10.000 Agenten“. Nach achteinhalb Stunden kehrte Stockman als (insgeheim gefeierter) Held zurück.

Mindestens 20 Versuche der sowjetischen Luftwaffe, seine U-2 anzugreifen, waren gescheitert. Die Amerikaner waren unerreichbar. Nikita Chruschtschow soll getobt haben. Es dauerte über zwei Jahre, bis die Sowjets die USA mit ihrem Sputnik zum Toben brachten – und vier Jahre, bis sie eine U-2 aus dem Himmel über Russland herunterholten.

So geheim wie die erst vor wenigen Jahren offiziell eingeräumten Spionageflüge der U-2-Piloten ist bis heute ihre erste Heimat am Groom Lake, genannt „Area 51“. Keine US-Regierung hat je zugegeben, dass es dieses Gebiet inmitten des riesigen atomaren Testgeländes in Nevada, seit 2010 offiziell „Nevada National Security Site“, überhaupt gibt. „Area 51“, euphemistisch Dreamland alias Paradise Ranch genannt , ist so geheim, dass es einer Einladung allerhöchster Militärs samt aufwendigem Führungszeugnis von CIA und FBI bedarf, um sich ihm zu nähern.

Aliens, Agenten & Atombomben

Wer das nicht vorzuweisen hat, kann mit zehn Stunden Zeit, einem Geländewagen, erstklassigen Bergschuhen und einer Menge Glück versuchen, abseits des Highway 375 den Tikaboo Peak zu erreichen. In klaren Nächten kann man „Area 51“ in knapp 40 Kilometer Entfernung westlich sehen. Das heißt, wenn die Finsternis plötzlich von grell orange aufglühenden Triebwerken geheimer Testjets zerrissen wird. Die Lichter der Landebahnen erlöschen in der Sekunde des Abhebens. Wer es nicht besser weiß, traut seinen Sinnen nicht.

Annie Jacobsen hat die Geschichte von Hervey Stockman und dem Niemandsland 130 Kilometer nördlich der Jedermannsstadt Las Vegas in „Area 51 – Die unzensierte Story des geheimsten Militärstützpunkts Amerikas“ aufgeschrieben. Wem die coolen, überschallgetriebenen Kerls der „Top Gun“-Schule imponieren, wer Luftkämpfe mit Beute-MiGs, Mach-3-Schwindelgefühle, Übungen mit dem Mond-Rover, Atombombenexplosionen und reichlich Ufos samt Aliens und Gorillas in Cockpits zu schätzen weiß, kommt in dem Buch der Journalistin auf seine Kosten.

Dementi gibt es nicht

In dem für Zivilisten und fast alle Air-Force-Flüge gesperrten Luftraum über dem Testgelände der CIA – die Eingeweihten nennen den 30 auf 40 Kilometer großen Raum „The Box“ – müssen sich Luftkämpfe und Belastungstests abspielen, die Hollywood mit Neid erfüllen würden, könnte jemand die Spektakel sehen. So aber eignet sich „Area 51“ samt Zauberbox vor allem für die Projektionen und Fantastereien der US-Verschwörungstheoretikerelite .

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Annie Jacobsen versteht sich als Chronistin, nicht als Zensorin. Bei ihr durften 74 Zeugen ihre seriösen, spinnerten, haarsträubenden Erinnerungen an „Area 51“ erzählen. Da es den Stützpunkt offiziell gar nicht gibt, wird es kein Dementi geben.

Das hilft. Am plausibelsten sind die verheerendsten Taten: mindestens 828 Atomwaffenexplosionen, deren unterirdische Druckwellen die Baracken in „Area 51“ bis in die 60er-Jahre hinein wanken ließen. Die Ungeheuerlichkeit der Tests, die von 1946 bis 1951 das Bikini-Atoll ertragen musste, wurde nach Nevada importiert.

Irgendwann machten Naturschützer Ärger

Am 27. Januar 1951 um 5.45 Uhr früh warf ein B-50-Bomber die erste Atombombe auf US-Territorium in das, pardon, „Frenchman Flat“ ab. Neun Esel, 109 Beagle-Hunde, zehn Schafe, 31 Albinoratten starben elend an dem extrem hohen Fallout der schmutzigen Bombe, mit der die Explosion von Atomraketen nach einem Absturz in den USA simuliert wurde. Bombenentwickler Edward Teller rühmte die „Quickie“-Tests, die keine große Reiserei verlangten.

Die Flieger hinter der Bergkette in der „Area 51“ mussten pausieren, wenn der Dritte Weltkrieg gewonnen wurde. Die Atomwaffentests hatten Vorrang. Irgendwann machten Naturschützer Ärger. Die abgesperrten, auf 24.000 Jahre mit Plutonium verseuchten Gebiete konnten zwar von Menschen gemieden werden. Doch die Würmer, die sich durch den Boden wühlten und dann den Vögeln wohl bekamen, trugen das Verderben zurück in die Zivilisation. Kleinkram. Die US-Regierung bedauerte.

Was taten die Apollo-Crews in der Wüste?

Zu den Höhepunkten in der Geheimgeschichte von „Area 51“ zählen offenbar die Trainingsbesuche der Crews von Apollo 11 bis 17. Die Lebensfeindlichkeit auf dem Hochplateau (1360 Meter Meereshöhe) am Groom Lake kann sich mit der des Mondes messen. Astronauten waren in den 60er-Jahren, wie Annie Jacobsens Zeugen schwärmen, die „Rockstars“ in den US-Luftstreitkräften. Sie zu Simulationen mit dem Mondgefährt in die Atomkrater zu führen war eine Auszeichnung.

Und Abwechslung in der strengen Tristesse ohne Frauen und die meisten anderen Lebensfreuden. Die Testpiloten und Ingenieure mochten ab und zu ihren Kick im Job bekommen. Die Zuarbeiter zum vaterländischen Dienst der Waffenentwicklung bekamen dünnes Bier, wenig Sold und noch weniger Mitleid. Es wäre kein Wunder, wenn diese einsamen Geister die Horrorstorys und Moritaten ersonnen hätten, die in die wahre Hölle der „Area 51“ führen.

Die Mondkulissen stehen noch

Todesmutig folgte Annie Jacobsen ihren Zeugen ins Schattenreich, wo Außerirdische, Stalins ufoesker Flugkörper, Mengeles Kindermutanten und medizinische Experimente an amerikanischen Behinderten zum Himmel schreien. Unermüdlich lässt Jacobsen Zeugen des Grotesken auftreten, darunter William Kaysing mit seinem selbst verlegten Klassiker „Wir sind nie zum Mond geflogen“ (1974).

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Dessen drei Fragen – Warum flattert die US-Fahne auf dem windlosen Mond ? Warum sieht man keine Sterne auf den Fotos? Warum hat die Mondfähre bei der Landung keinen Krater in die Oberfläche gebrannt? – bilden den Katechismus der Verschwörungstheoretiker. Die Szenen auf dem Mond seien in „Area 51“ gedreht worden, behauptete Kaysing bis zu seinem Tod 2005. „Wer sich in das bestbewachte militärische Sperrgebiet der USA wagt, wird ohne Warnung erschossen“, sagte er. „Und mit Grund: Die Mondkulissen stehen noch.“

Doch das klingt noch recht und vernünftig. Arg wird es bei denen, die den „Roswell-Zwischenfall“ vom Juli 1947 mit „Area 51“ zusammenweben. Auf die Farm von W. W. Brazel in New Mexico stürzte damals eine „fliegende Scheibe“ und ging zu Bruch. Das US-Militär meldete erst mit diesen Worten den Fund; dann, abrupt, korrigierte es zum „abgestürzten Wetterballon“. Die eine Schule der Ungläubigen ist sicher, dass Außerirdische abstürzten und samt ihrem Fluggerät vom US-Militär versteckt, vernichtet und totgeschwiegen wurden.

Die anderen, die Annie Jacobsen das Schlusskapitel beherrschen lässt, haben eine perfidere irdische Erklärung: Stalin habe mit der Hilfe übergelaufener Nazi-Konstrukteure einen Flugkörper entwickeln lassen, der fliegen und (wie ein Hubschrauber) schweben konnte. Auf den Wrackteilen seien kyrillische Buchstaben gesehen worden. Das Flugobjekt bedienten kinderkleine Gestalten mit riesigen Köpfen und hellen Augen, gezüchtet von niemand anderem als Josef Mengele im Dienst der Sowjets.

"Wir waren nicht besser"

Stalin habe durch die Landung dieser hausgemachten „Marsmenschen“ eine Panik stiften wollen, wie sie einst nach dem Hörspiel „Krieg der Welten“ von Orson Welles 1938 in New Jersey losbrach. Warum die Amerikaner diesen Hokuspokus nicht veröffentlicht hätten, wird der anonyme Kronzeuge gefragt. Präsident Truman habe nicht eingestehen wollen, dass die Sowjets in den US-Luftraum eingedrungen waren. „Und wir waren nicht besser. Wir haben selbst medizinische Experimente an behinderten Kindern und Häftlingen durchgeführt. Ich wünschte, wir hätten es nicht getan.“

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