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Jeder vierte Jobcenter-Mitarbeiter angegriffen

Jobcenter-Kundin greift Polizisten an und wird niedergeschossen Jobcenter-Kundin greift Polizisten an und wird niedergeschossen
Eine 39 Jahre alte Frau ist am 19. Mai nach einem Streit in einem Jobcenter in Frankfurt am Main von einer Polizistin niedergeschossen worden und wenig später im Krankenhaus gestor...ben
Quelle: dapd/DAPD/Mario Vedder
Mitarbeiter von Jobcentern fühlen sich am Arbeitsplatz oft bedroht. Fast jeder zehnte muss nach Attacken in medizinische oder psychologische Betreuung.

Die große Mehrheit der Mitarbeiter von Jobcentern fühlt sich am Arbeitsplatz gelegentlich oder oft unsicher oder bedroht. Jeder vierte war schon einmal Opfer eines Übergriffs . Dies geht aus einer noch unveröffentlichten Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung hervor. Die häufigsten Übergriffe durch Kunden waren dabei Beleidigungen oder Verweigerungshaltungen.

Befragt wurden insgesamt 2194 Beschäftigte aus bundesweit zwölf Arbeitsgemeinschaften im Zeitraum vom Januar 2008 bis Januar 2009. Knapp 70 Prozent gaben an, sich am Arbeitsplatz gelegentlich oder oft bedroht oder unsicher zu fühlen. Ein Viertel sagte, schon einmal Opfer eines Übergriffs geworden zu sein.

Körperliche Angriffe zwei Mal im Jahr

Brutale Gewalt wie körperliche Angriffe bleibt dabei die Ausnahme. Der Studie zufolge erlebten die Beschäftigten solche Fälle im Schnitt aber immer noch zwei Mal im Jahr. Zum Alltag gehörte bei den Befragten die Auseinandersetzung mit alkoholisierten Leistungsempfängern und mit Klienten, die die Zusammenarbeit verweigern. Verbale Aggression wurde mehrmals wöchentlich erlebt, Randale immerhin noch ein Mal im Monat.

Nur ein knappes Drittel der Befragten hatte sich nach eigener Aussage noch nie unsicher oder bedroht gefühlt. Der Studie zufolge sind Mitarbeiter der Leistungsabteilung häufiger Randalen ausgesetzt als die Kollegen aus der Vermittlungsabteilung.

Es sind viele Faktoren, die die Arbeitssituation in Jobcentern so heikel machen: Oft fehlt es an Personal, die rechtliche Grundlage ist seit der Einführung von Hartz IV noch komplizierter geworden.

Die Klientel ist oft schwierig, sie hat überdurchschnittlich häufig Alkohol-, Drogen- oder psychische Probleme. Weil die Entscheidungen der Jobcenter für die Leistungsempfänger häufig existenziell sind, reagieren viele sehr emotional. Kommen auch noch lange Wartezeiten hinzu, führt das zu einer explosiven Mischung. Mit dramatischen Folgen:

Oft fehlt es an Personal

Nur ein knappes Drittel der Befragten hatte sich nach eigener Aussage noch nie unsicher oder bedroht gefühlt. Der Studie zufolge sind Mitarbeiter der Leistungsabteilung häufiger Randalen ausgesetzt als die Kollegen aus der Vermittlungsabteilung.

Es sind viele Faktoren, die die Arbeitssituation in Jobcentern so heikel machen: Oft fehlt es an Personal, die rechtliche Grundlage ist seit der Einführung von Hartz IV noch komplizierter geworden. Die Klientel ist oft schwierig, sie hat überdurchschnittlich häufig Alkohol-, Drogen- oder psychische Probleme.

Weil die Entscheidungen der Jobcenter für die Leistungsempfänger häufig existenziell sind, reagieren viele sehr emotional. Kommen auch noch lange Wartezeiten hinzu, führt das zu einer explosiven Mischung. Mit dramatischen Folgen:

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Frankfurt am Main: Erst in der vergangenen Woche war es in einem Jobcenter zu einem tödlichen Vorfall gekommen . Eine 39-Jährige hatte zu randalieren begonnen, weil ihr Hartz-IV-Leistungen nicht bar ausgezahlt wurden. Als sie einen herbeigerufenen Polizeibeamten mit einem Messer attackierte und mehrfach verletzte, wurde sie von dessen 28-jähriger Kollegin angeschossen und starb später im Krankenhaus.

Dillingen: Im Mai 2010 griff in der saarländischen Gemeinde ein 24-jähriger Hartz-IV-Empfänger den Sachbearbeiter einer Arbeitsagentur mit einem Beil an. Er hatte sich geärgert, weil seine Mietkosten nicht vollständig übernommen worden waren. Der Angreifer demolierte die komplette Einrichtung des Büros, der Mitarbeiter kam mit einem Schock davon.

Kaiserslautern: Im Dezember 2007 schlug ein 46-Jähriger der Mitarbeiterin einer Hartz-IV-Behörde zunächst mit der Faust ins Gesicht. Dann stach er auf die Schwangere ein. Der Mann hatte kein Arbeitslosengeld II erhalten, weil er es zu spät beantragt hatte. Als er auf dem Amt keinen Vorschuss bekam, geriet er in Rage.

Aachen: Im September 2007 bedrohte eine 46-Jährige in einem Jobcenter zwei Mitarbeiter mit einer Waffe und nahm sie als Geiseln. Nachdem die Frau eine der Geiseln wieder freigelassen hatte, konnte der zweite Mitarbeiter sie überwältigen.

Heppenheim: Im Mai 2007 wurde eine Fallmanagerin des Jobcenters von einem 45-jährigen Klienten ohne Vorwarnung mit einem Holzknüppel geschlagen. Die Frau erlitt dabei Verletzungen, ebenso wie zwei Kollegen, die ihr zu Hilfe kommen wollten. Erst eine weitere Kollegin konnte den Mann mit einem Pfefferspray stoppen.

Sicherheitsgefühl hat sich leicht verbessert

Im Rahmen der Studie der Unfallversicherung wurde im Frühjahr 2010 noch eine weitere Befragung vorgenommen, an der aber nur noch 762 Mitarbeiter von zwei der ursprünglich zwölf Arbeitsgemeinschaften teilnahmen. In ihr hatte sich das Sicherheitsgefühl der Befragten leicht verbessert: Nur noch rund 62 Prozent fühlten sich am Arbeitsplatz ständig oder oft unsicher beziehungsweise bedroht.

Vor allem die verbalen Aggressionen hatten deutlich abgenommen. Massive Gewalt wurde nur noch ein Mal im Jahr erlebt. Die Zahl jener, die sich nie unsicher oder bedroht fühlen, hatte sich von 33 auf 37,5 Prozent leicht erhöht.

Fehlende Trennung zwischen öffentlichen und internen Bereichen

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Wie gingen die Ämter mit den Übergriffen um? In insgesamt 61 Fällen wurde Hausverbot erteilt. Nach 19 Übergriffen wurde Strafanzeige erstattet. In 22 weiteren Fällen hatten die Betroffenen den Vorfall allerdings erst gar nicht gemeldet. Von denjenigen, die schon einmal Opfer eines Angriffs oder einer Belästigung waren, gaben knapp sechs Prozent an, hinterher in medizinischer oder psychotherapeutischer Behandlung gewesen zu sein.

7,6 Prozent der Betroffenen litten auch noch bei der Zweitbefragung unter den Folgen; bei der ersten Befragung war es noch jeder Zehnte gewesen. Ein Drittel räumte ein, seit dem Übergriff zumindest gelegentlich wachsamer oder angespannter zu sein. Ebenfalls ein Drittel fühlte sich seit dem Übergriff gelegentlich oder sogar ständig belastet.

70 Prozent der Befragten gaben an, dass an ihrem Arbeitsplatz ein Alarmierungssystem existierte, das im Fall einer Bedrohung genutzt werden könne. 30 Prozent bewerteten die fehlende Trennung zwischen öffentlichen und internen Bereichen als kritisch. Die Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung soll Anfang Juni unter dem Titel „Arbeitsbelastungen und Bedrohungen in Arbeitsgemeinschaften nach Hartz IV“ veröffentlicht werden.

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