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Gesundheit EHEC-Krise

Gurken werden aus Supermarkt-Regalen verbannt

Korrespondent
Derzeit nicht gefragt: Gurkenscheiben. In der Mitte dieser Illustration sehen Sie die elektronenmikroskopische Aufnahme eines EHEC-Bakteriums Derzeit nicht gefragt: Gurkenscheiben. In der Mitte dieser Illustration sehen Sie die elektronenmikroskopische Aufnahme eines EHEC-Bakteriums
Derzeit nicht gefragt: Gurkenscheiben. In der Mitte dieser Illustration sehen Sie die elektronenmikroskopische Aufnahme eines EHEC-Bakteriums
Quelle: pa/dpa
Erster Erfolg bei der Suche nach dem gefährlichen Durchfallkeim EHEC: Lebensmittel-Detektive weisen das Bakterium in Salatgurken aus Spanien nach. Das hat Folgen.

Fündig wurden die Lebensmittel-Detektive schließlich am Hamburger Großmarkt. Dort, zwischen Elbe und Hauptbahnhof, lagerten jene Import-Gurken eines spanischen Landhandels, auf denen wenig später jene Bakterien entdeckt wurden, die seit dem Wochenende Verbraucher, Mediziner, Gemüsebauern und Politik in Atem halten: HUSEC 41, Sequenztyp 678, ein gegen Antibiotika weitgehend resistentes EHEC-Bakterium.

Vielleicht ist das ja tatsächlich der Durchbruch; zumindest aber ein großer Schritt voran bei der Bekämpfung eines Krankheitskeims, der inzwischen weit mehr als 500 Menschen quält.

Auch die Zahl der schweren, lebensbedrohlichen Verläufe nahm gestern noch einmal zu. Weitere Tote gab es am Donnerstag nicht. Allerdings wurde in Hamburg ein Mann tot in seiner Wohnung, bei dem der Verdacht besteht, dass er sich mit dem Keim infiziert haben könnte. Auch im europäischen Ausland wurden die ersten EHEC-Fälle gemeldet

Hamburgs Gesundheitsheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks, die zuvor tagelang immer nur schlechte Nachrichten geliefert hatte – mehr Fälle, mehr schwere Fälle, noch mehr Fälle – war am Donnerstag sichtlich erleichtert, auch mal eine positive Nachricht verkünden zu können: An insgesamt vier Salatgurken, drei davon aus Spanien, eine weitere unbekannter Herkunft, hatte das Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt das EHEC-Bakterium nachgewiesen. Eine der drei spanischen Gurklen stammt aus ökologischem Landbau.

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Trotz dieses Erfolges riet die Senatorin weiterhin vom Verzehr von Salatgurken ab. Man werde jetzt versuchen die betroffene Ware komplett vom Markt zu nehmen. Entwarnung jedenfalls gab die Politikerin noch nicht. Es sei keineswegs auszuschließen, dass auch andere Lebensmittel das Bakterium trügen.

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung schloss sich dieser Meinung am Nachmittag an. Es gebe noch keine Entwarnung für andere Gurken, Tomaten und Blattsalate. Wer hundert Prozent sicher gehen wolle, sollte in ganz Deutschland auf den Verzehr verzichten. Eine entsprechende Warnung hatte das Robert-Koch-Institut bereits am Mittwoch herausgegeben. Sie zeigte deutschlandweit Wirkung.

Zahlreiche Restaurants, Kantinen und Einrichtungen wie Krankenhäuser und Kindertagesstätten haben die drei Produkte komplett vom Speiseplan gestrichen. In den Kantinen des Autokonzerns BMW werden ab sofort ebenso keine frischen Tomaten, Blattsalate und Gurken mehr angeboten wie beim Caterer Apetito, der bundesweit täglich 1,3 Millionen Menschen in Kindergärten, Schulen, Kantinen, Kliniken, Heimen mit Essen versorgt.

Er verzichtet außerdem generell auf ungegartes Gemüse und auf Obst, das man nicht schälen kann. Also keine Erdbeeren, keine Kirschen. Auch bitter in dieser Jahreszeit.

Ähnlich verfahren die Mensen der Studentenwerke in Hamburg und Würzburg. Die Großbäckereien im Norden bieten belegte Brötchen seit Donnerstag nur noch ohne Salat, Gurken und Tomaten an. Man stelle auf Gewürzgurken und Petersilie um, berichtete zum Beispiel die Bäckerei „Von Allwörden“, die ihren Waren in 160 Filialen vertreibt.

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Entsprechend alarmiert zeigen sich die norddeutschen Gemüsebauern, die zum Teil dramatische Einbußen hinnehmen müssen. Von „katastrophalen Auswirkungen“ der EHEC-Krise geht zum Beispiel Andreas Brügger aus, der Geschäftsführer des Deutschen Fruchthandelsverbandes.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, beklagt bereits erhebliche Einbußen für deutsche Bauern. Der Absatz an den verdächtigen Produkten sei sofort eingebrochen, die Bauern seien jetzt die Leid tragenden und müssten vermutlich mit riesigen Einnahmeverlusten zurechtkommen.

Der Geschäftsführer der Fachgruppe Gemüsebau Norddeutschland hofft dagegen bereits auf Entspannung. Die Nachricht, das spanische Gurken den Keim getragen hätten, schaffe „hoffentlich etwas Entspannung“. Die Metro, Deutschlands größter Handelskonzern, verzeichnete am Donnerstag jedenfalls noch keinen Absatzrückgang bei Obst und Gemüse.

Verunsicherte Kunden erhielten in den Märkten Tipps durch das Fachpersonal, wie frische Lebensmittel hygienisch korrekt zubereitet und gelagert würden. Am späten Nachmittag kündigte Metro allerdings an, ab sofort keine Salatgurken aus spanischem Anbau mehr in den Verkauf bringen zu wollen. Auch Rewe und Kaiser's-Tengelmann zogen diese Konsequenz aus dem Fund im Hamburger Großmarkt.

Der niedersächsische Landesbauernverband wirbt inzwischen sogar schon wieder ganz offensiv für den Verzehr von heimischem Gemüse. „Wir können die Leute nur ermuntern, weiter zuzugreifen.“ Der niedersächsische CDU-Fraktionsvize, Karl-Heinrich Langspecht, warnte vor einer pauschalen Verurteilung der Landwirtschaft.

Durch den massenhaften Verzicht des Großhandels auf heimische Gemüse seien bereits zahlreiche Existenzen unter den Gemüsebauern bedroht, so Langspecht. Sein Parteifreund Peter Liese, Europaabgeordneter in Brüssel forderte das Robert-Koch-Institut sogar auf, sich bei den norddeutschen Landwirten für die Warnung vor ihren Produkten zu entschuldigen. Es sei von vornherein klar gewesen, dass das gefährliche Gemüse zwar in Norddeutschland in den Handel gekommen , aber keinesfalls hier gezogen worden sei.

Auch der Schweriner Landesagrarminister Till Backhaus (SPD) zeigte wenig Verständnis für die Vorsicht des Robert-Koch-Instituts. Die Warnung der Behörde vor dem Verzehr von Tomaten, Gurken und Salaten aus Norddeutschland habe keine gesicherte Grundlage. Auf der Grundlage jüngster Kontrollen könne „definitiv“ gesagt werden, dass Salat und Kohlgemüse aus Mecklenburg-Vorpommern nicht mit dem EHEC-Erreger befallen seien.

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Rolf Winter, Geschäftsführer eines der größten norddeutschen Biohöfe, zeigt deutlich mehr Verständnis für Prüfer und Behörden. Die arbeiteten, wie sich am fall der spanischen Gurken beweise ja offensichtlich überaus effizient. Die Meldung der Hamburger Gesundheitsbehörde werde auch den Druck auf die heimischen Landwirte weiter mildern. Im übrigen gelte für Landwirte wie Verbraucher gleichermaßen: „Nach dem Klo und vor dem Essen Händewaschen nicht vergessen“.

Auch auf Winters „Gut Wulksfelde“ hatten die Lebensmittel-Detektive Proben gezogen - Salat, Gurken, Mangold – aber keines sei bisher auffällig gewesen. In drei Fällen stünden die Ergebnisse allerdings noch aus. Die Kunden fragten jetzt zwar vermehrt nach, kauften dann aber in der Regel dennoch.

Winter hat im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen durchaus noch ein gutes Wort für die Arbeit der Gesundheitsbehörden übrig. Das ist schon deshalb geboten, weil die Zahlen der mit dem EHEC-Bakterium Infizierten auch gestern nicht kleiner wurden. Allein in Hamburg sind inzwischen rund 300 Fälle von Hämolytisch-Urämischem Syndrom (HUS) oder Verdacht darauf festgestellt.

HUS ist eine schwere Verlaufsform der durch EHEC ausgelösten blutigen Durchfälle, bei der giftige Stoffwechselprodukte des Bakteriums zu Nierenschäden führen können. 66 Patienten wurden stationär behandelt. Die Betroffenen sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde im Alter von 9 bis 77 Jahren, davon 48 weiblich und 18 männlich.

Auch hier gibt es eine gute Nachricht zur schlechten Lage: Der Anstieg der Krankheitsfälle, so die Senatorin, hat sich aktuell verlangsamt. Dennoch stünden zumindest die Hamburger Krankenhäuser zunehmend vor einem Kapazitäzsproblem. Sehr viele Menschen seien mittlerweile auf Dialyse-Geräte angewiesen. Kämen weitere hinzu, müsste man sie entweder in ambulanten Praxen versorgen oder in Kliniken anderer Bundesländer verlegen.

Immerhin: Auch Niedersachsen (inzwischen 159 Fälle beziehungsweise Verdachtsfälle) und Schleswig-Holstein (109 bestätigte Fälle) meldeten eine etwas gemäßigtere Ausbreitung des Blutdurchfalls. In vielen anderen Bundesländern taucht der Keim weiterhin eher sporadisch auf. Das Frankfurter Gesundheitsamt meldete keine neuen Fälle. In der Mainmetropole hatten sich zunächst 19 Menschen offenbar in zwei Kantinen infiziert.

Auch aus den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien und Schweden wurden erste Infektionen gemeldet. Betroffen seien in der Regel Menschen, die sich innerhalb der vergangenen Wochen in Deutschland aufgehalten hatten.

Sehr zurückhaltend, vielleicht sogar ein wenig verschnupft reagierten übrigens die spanischen Behörden auf die Fundmeldungen aus dem Hamburger Großmarkt. Noch sei offiziell nicht darüber informiert worden, dass Gemüse aus Spanien Auslöser der Krankheitswelle in Deutschland sei, erklärte der Direktor der staatlichen Agentur für Lebensmittelsicherheit, Roberto Sabrido.

„Wir wissen nicht, was los ist.“ Spanien ist für Deutschland der zweitgrößte Gurkenlieferant innerhalb der Europäischen Union. Nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft wurden von dort im Jahr 2009 insgesamt 179.500 Tonnen Gurken importiert. Nur aus den Niederlanden wird mehr eingeführt.

In Spanien selbst, so Sabrido, seien bislang keine EHEC-Erreger festgestellt worden. Der spanische Agrarverband COAG hält es sogar für sehr unwahrscheinlich, dass die mit dem EHEC-Erreger belasteten Gurken tatsächlich aus dem Spanien stammen. „Der Export nach Deutschland ist derzeit gleich null.“ Insofern ist es wohl deutlich zu früh, einen Schlussstrich unter das Thema EHEC zu ziehen.

Weitere Informationen über das EHEC-Bakterium:

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