WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Panorama
  3. Weltgeschehen
  4. Freispruch in Mannheim: Kachelmann, die Ex-Geliebte und der ewige Verdacht

Weltgeschehen Freispruch in Mannheim

Kachelmann, die Ex-Geliebte und der ewige Verdacht

Der Richter nennt den Freispruch zwar richtig, aber unbefriedigend: Denn Kachelmann hängt nun ein gewisser Ruf an – und die Frau gilt als "rachsüchtige Lügnerin".

Jörg Kachelmann zeigt keine Regung, als der Vorsitzende Richter die entscheidenden Worte verliest: „Der Angeklagte Jörg Andreas Kachelmann wird freigesprochen.“ Jubel und Applaus im Gerichtssaal – doch Kachelmann sieht einfach nur müde aus, nach fast neun Monaten und 44 Verhandlungstagen in einem der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Vorsitzende Richter Michael Seidling macht schnell deutlich, dass es sich nur um einen sogenannten Freispruch zweiter Klasse handelt: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin“, sagt Seidling.

Aber es bestünden „begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann . Er war deshalb nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen“: Im Zweifel für den Angeklagten.

Der Vorsitzende Richter führte als Beispiel für die schwierige Beweiswürdigung die DNA-Spuren an dem Messer an, das Kachelmann der Frau an den Hals gehalten haben soll. Im Griffbereich seien etwa winzige DNA-Spuren eines Mannes gefunden worden.

Und da die Nebenklägerin zurückgezogen gelebt habe, könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Spuren Kachelmann zuzuordnen seien und er das Messer in der Hand gehalten habe.

Allerdings hätten sich weit mehr Hautspuren der Frau an der Klinge finden müssen, falls ihr das Messer wirklich an den Hals gedrückt wurde. Es sei aber ein Verlust dieser Spuren denkbar und möglich. Laut Seidling belegt das Messer damit weder Schuld noch Unschuld des Angeklagten.

Insgesamt muss damit festgestellt werden, „dass die objektive Beweiskette in die eine wie die andere Richtung immer wieder abreißt“, sagte der Richter.

Seidling zufolge kann aber auch nicht von einer Falschbeschuldigung durch die Nebenklägerin ausgegangen werden. Dagegen spreche, dass sie zügig zur Polizei gegangen sei und Anzeige erstattet habe, aber gleichwohl den Namen Kachelmanns zunächst nicht preisgeben wollte. Außerdem habe sie bereitwillig alle medizinischen und psychologischen Untersuchungen über sich ergehen lassen. Dies sei mit dem Bild einer „rachsüchtigen Frau“ nicht vereinbar.

Ex-Geliebte bricht in Tränen aus

Kachelmann gegenüber sitzt mit versteinertem Gesicht die Nebenklägerin. Die Frau, die ihn der Vergewaltigung beschuldigt hat. Die 38-jährige ist erst im letzten Moment vor der Urteilsverkündung in den Gerichtssaal gekommen, als die Kameraleute und Fotografen den Saal schon verlassen hatten. Immer wieder schüttelt sie während der knapp einstündigen Urteilsbegründung den Kopf. Gegen Ende fängt sie hörbar an zu schluchzen, kramt eine Packung Papiertaschentücher hervor und schnäuzt sich.

Anzeige

Kachelmann hat sich da schon ein wenig entspannt, sitzt zurückgelehnt auf seinem Stuhl, eine Hand in der Hosentasche, die andere auf den Tisch gelegt. Am Ende der Urteilsverkündung verlässt er schnell den Saal, mit der Presse will er nicht sprechen. Seine ehemalige Geliebte bleibt noch einen Moment weinend sitzen, bevor sie sich aufrafft und durch eine Seitentür verschwindet.

Seidling nutzt die Urteilsbegründung für massive Kritik an Kachelmanns Verteidiger Johann Schwenn . Dieser habe den „respektvollen Umgang“ häufig vermissen lassen. Seidling lässt es sich nicht nehmen zu betonen, dass Schwenns Einstieg in das Verfahren am Ergebnis der Beweisaufnahme nichts geändert habe. Überprüfen lässt sich das natürlich nicht.

Schwenn geht auf Konfrontationskurs

Schwenn ist nach der Verkündung sichtlich erzürnt: Kachelmann sei „aufs Schäbigste“ behandelt worden. Das Urteil sei „nicht anders zu erwarten“ gewesen. „Mit dem Freispruch muss man zufrieden sein“, sagt er. „Was wir dann hinterher gehört haben, war von einer Erbärmlichkeit, die ihresgleichen sucht in einem Gerichtssaal.“

Die Kammer sei den Anforderungen des Falles nicht gewachsen gewesen. Hätte das Oberlandesgericht nicht den Haftbefehl aufgehoben, wäre Kachelmann „noch in Haft bis zum heutigen Tag“.

Es ist wahrscheinlich, dass dieser Prozess zwei beschädigte Menschen zurücklässt.

Das gibt auch der Vorsitzende Richter in seinem Schlusswort zu bedenken: „Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung verspüren wir dadurch jedoch nicht“, sagt Seidling. „Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenzielle rachsüchtige Lügnerin.“

dpa/dapd/AFP/kami

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema