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Ausland Iran-Überflug

Die zwei Theorien für die Warteschleife der Kanzlerin

Warum durfte Merkels A 340 nicht sofort den Iran überfliegen? Wollte sich der Iran an Deutschland rächen? Denkbar. Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit.

Kanzlerflüge in Richtung Asien sind für Mitreisende ein anstrengendes Unternehmen. Die Nacht ist kurz, der Tag wird lang werden. Deshalb schliefen am Dienstag früh um ein Uhr nachts iranischer Zeit hoch über der türkisch-iranischen Grenze die meisten Passagiere in der funkelnagelneuen „Konrad Adenauer“.

So schildert es später einer der wenigen Mitreisenden, die in der Pressekabine noch Vorbereitung für die Berichterstattung am nahenden Morgen trafen. Sie wussten: Kurz nach der Landung in Neu-Delhi würden die Heimatredaktionen wissen wollen, wie der Jungfernflug an Bord des vierstrahligen Regierungs-Airbus A 340 war, und wie die Bundeskanzlerin nach dem Tag des endgültigen Atomausstiegs-Beschlusses auf die Reisenden an Bord gewirkt habe.

Kehrtwende vor der Grenze

Diese wenigen noch wach gebliebenen Passagiere bemerkten plötzlich anhand des Streckenbildes auf den Monitoren, dass die „Konrad Adenauer“ knapp hinter der iranischen Grenze abdrehte und auf türkisches Gebiet zurückflog.

Dort ging sie in eine Warteschleife. „Bei denjenigen, die es mitbekommen haben, war die Stimmung an Bord eher erheitert. Panik gab es überhaupt nicht“, sagte nach der Landung in Indien ein Delegationsmitglied „Welt Online“. Die Warteschleifen über der Türkei „sorgten für einige Nachfragen beim Bordpersonal“.

Nach ungefähr zwei Stunden setzte die Maschine ihren Flug nach Indien fort – über den Iran und über Pakistan. Der Kommandant der Maschine habe in einer kurzen Durchsage bestätigt, dass es „Überflugprobleme“ gegeben habe.

Viel mehr konnte er auch nicht sagen, denn in Berlin war man auch nicht wesentlich klüger, wenngleich die Nacht für einige Verantwortungsträger plötzlich sehr hektisch geworden war. Im Auswärtigen Amt, im Lagezentrum des Kanzleramts, bei der Flugbereitschaft der Luftwaffe in Köln, bei der deutschen Botschaft in Teheran klingelten die Telefone.

Überflugrechte sind Formsache

Zunächst, so scheint es gewesen zu sein, habe sich beim Einflug Angela Merkels in den iranischen Luftraum die dortige Flugsicherung gemeldet. Sie bekam die Bestätigung, es handele sich um den wenige Tage zuvor übermittelten Flug der GAF („German Air Force“).

Solche Überflugrechte werden in aller Regel als reine Formsache beantragt und erteilt. Jeder Staat der Erde möchte seinen Staats- und Regierungschefs freie Bahn zum gewünschten Reiseziel garantieren. Die Nichterteilung, gar der Widerruf einer erteilten Genehmigung sind außerordentlich ungewöhnlich – und ganz und gar ungewöhnlich ist der Widerruf im Augenblick des Überflugs.

Genau das aber passierte Angela Merkel. Die iranische Flugsicherung meldete sich nach wenigen Minuten bei der deutschen Besatzung ein zweites Mal und verkündete, die Überfluggenehmigung sei zurückgezogen.

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Danach, so scheint es, soll sie auf weitere Versuche, mit ihr in Kontakt zu treten, nicht mehr reagiert haben. Ersatz-Überflugrechte in Richtung Indien zum Beispiel über Russland, Kasachstan und Afghanistan oder über Syrien und Irak gab es offenbar nicht. Warum auch? Bislang hat es noch nie Probleme mit Genehmigungen gegeben.

Nun aber gab es sie, auch in Gestalt des knapp werdenden Treibstoffs. Die „Konrad Adenauer“ hat eine Nonstop-Reichweite bis Südostasien, doch betankt war sie nur für die Strecke bis Delhi inklusive einer Sicherheitsreserve.

Morgens um zwei deutscher Zeit, nach der ersten Stunde des Kreisens, begann der Druck auf Berlin zu wachsen, mit Iran zu einer Klärung zu kommen. Anderenfalls hätte Angela Merkel in der Türkei zum Tanken zwischenlanden müssen.

Ihr Besuchsprogramm in Indien wäre zusammengebrochen. Es wäre eine erhebliche Demütigung der Bundeskanzlerin und damit der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Das stellte ein zornentbrannter Außenminister Guido Westerwelle in Sydney klar.

Westerwelle zu der Zeit in Australien

Dort, am anderen Ende der Welt, absolvierte Westerwelle eine Asienreise, die ihn tags zuvor ebenfalls nach Indien geführt hatte. Westerwelle mobilisierte offenkundig auch alle, die in seinem Amtsbereich in irgendeiner Weise der Kanzlerin behilflich sein konnten.

Den Durchbruch brachte schließlich der iranische Botschafter in Deutschland, der zu sehr ungewöhnlicher Zeit geweckt wurde. Binnen erstaunlich kurzer Zeit, so der Eindruck, gelang es ihm, die Überflugrechte wieder in Kraft setzen zu lassen.

Das war einerseits eine große Erleichterung für die Bundeskanzlerin, die es – glücklich in Indien gelandet – bei der Pressekonferenz mit dem indischen Premierminister nicht versäumte, dies auch kenntlich zu machen. Die Einbestellung des iranischen Botschafters durch das Auswärtige Amt, so sagte sie, sei als Chance zur Information zu verstehen gewesen, nicht als Ausdruck der Verärgerung.

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Das hatte aus dem Munde Westerwelles in Sydney am Abend zuvor noch anders geklungen.

Den genauen Grund hat Berlin aber vom iranischen Vertreter wohl nicht erklärt bekommen. Es soll sich um „technisch-organisatorische“ Missverständnisse gehandelt haben, angeblich seien vorab übermittelte Flugnummern verwechselt worden. Eine solche Kleinigkeit hätte sich aber binnen weniger Minuten durch die Flugsicherung klären lassen. Dem Iran ging es um etwas anderes.

Getroffen werden sollte Angela Merkel

Getroffen werden sollte gezielt Angela Merkel. Denn eine weitere Luftwaffenmaschine mit Bundesministern an Bord durfte kurz vor Merkels Flugzeug den iranischen Luftraum anstandslos passieren.

Die Bundesminister reisten für die ersten deutsch-indischen Regierungskonsultationen nach Delhi an, flogen aber bereits am Dienstagabend nach Deutschland zurück, während Merkel nach Singapur weiterflog.

Es gab Hinweise, dass am Dienstag eine iranische Delegation in Delhi war und dort mit den Indern über ein Ölgeschäft verhandelte, welches bis Ende Mai auch von einer in Deutschland ansässigen iranischen Bank mitfinanziert worden war. Diese Bank steht seit Ende Mai auf dem Embargo-Index der Europäischen Union und hat die Mitfinanzierung eingestellt.

Vielleicht wollten sich die Iraner dafür rächen. Vielleicht auch wollte jemand im Iran den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bloßstellen. Der Präsident befindet sich seit Wochen in einem Machtkampf mit dem obersten geistlichen Führer des Iran.

Es geht letztlich darum, wer im Land das Sagen habe: der Ayatollah oder der weltliche Staatschef. Manchmal greifen Intriganten zu ungewöhnlichen Mitteln.

Mitarbeit: Martin Lutz

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