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Ausland EHEC-Epidemie

Europäische Wut gegen deutsches Krisenmanagement

Spanische Bauern sind extrem verärgert: Weil deutsche Behörden beim EHEC-Krisenmanagement versagt hätten, fordern sie Schadenersatz.

Die Stimmung unter den 27 Landwirtschaftsministern war angespannt. Eigentlich hatten sie bei ihrem Treffen in der ungarischen Puszta über den neuen EU-Haushalt reden wollen und die anstehende Reform der gemeinsamen Agrarpolitik. Doch am vergangenen Dienstagmorgen gab es nur ein Thema: die spanischen Gurken und das deutsche EHEC-Bakterium.

Rosa Aguilar war spät nachts aus Madrid angereist, sie wollte ihre deutsche Amtskollegin Ilse Aigner zur Rede stellen. „Wir sind sehr unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Deutschen. Man sollte erst Beweise haben, bevor man mit dem Finger auf jemanden zeigt“, schimpfte die zierliche Frau aus Andalusien bei ihrer Ankunft.

Doch die Landwirtschaftsministerin musste ihre Wut an Aigners Staatssekretär ablassen. Hinter geschlossenen Türen ergriff Robert Kloos als Erster das Wort. „Nach den ersten Fällen konnten wir nicht ahnen, dass sich der Darmvirus zu einer Epidemie auswächst“, sagte er dem Vernehmen nach entschuldigend. Deshalb habe es auch drei Wochen gedauert, bis Berlin das europäische Warnsystem in Gang gesetzt habe.

Der Staatssekretär konnte nicht verbergen, wie unangenehm sich die Situation für ihn als Vertreter Berlins anfühlte. Kurz darauf kam dann auch noch die Eilmeldung aus Hamburg: Die Bakterienstämme der infizierten Gurken stimmten nicht mit denen überein, die das Hämolytisch-Urämische Syndrom (HUS) auslösen. Spaniens Gurken trifft keine Schuld.

Am Mittwochabend hob die Europäische Kommission ihre EU-weite Warnung, die sie auf Grund der Hamburger Meldungen gemacht hatte, wieder auf. „Die jüngsten Ergebnisse haben gezeigt, dass das spanische Gemüse nicht verantwortlich für den Ausbruch von EHEC in Deutschland und anderen Mitgliedstaaten ist.“

Doch da war der europäische Flurschaden schon entstanden, den die deutschen Behörden und das Robert-Koch-Institut durch ihr EHEC-Management verursacht haben. Zu langsam, mit gefährlichen Vorverurteilungen und damit politisch verantwortungslos haben die Deutschen auf die EHEC-Krise reagiert – das ist der Eindruck bei vielen EU-Partnern.

Noch ist unklar, welchen wirtschaftlichen Schaden die Warnungen vor dem Verzehr von rohen Gurken, Tomaten und Salat nach sich ziehen. Kommenden Dienstag wird die EU-Kommission mit Vertretern der betroffenen Länder ein erstes Resümee ziehen. Und auch beraten, ob ein Sonderhilfspaket geschnürt werden kann.

Fest steht aber schon jetzt, dass spanische, niederländische, französische, aber natürlich auch deutsche Landwirte hart getroffen sind. Der Dachverband der spanischen Gemüse- und Obstexporteure (Fepex) schätzte die Verluste auf bis zu 200 Millionen Euro pro Woche. Spaniens Premier José Luis Zapatero kritisierte in einem Radiointerview den „grandiosen Fehler“, den die deutschen Behörden im Umgang mit der Gurkenkrise gemacht hätten und forderte Entschädigungszahlungen.

Er ließ allerdings offen, ob die Gelder aus Deutschland oder von der EU kommen sollen. „Das Geld müssen diejenigen zahlen, die den Warnmechanismus frühzeitig in Bewegung setzten, ohne alle Elemente zu prüfen“, präzisierte wenige Stunden später Justizminister Francisco Caamaño.

Kaum Hoffnung auf Schadenersatz

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Auf Schadenersatz aus EU-Kassen können die betroffenen Bauern kaum hoffen. Die milliardenschweren Agrartöpfe sind für solche Fälle nur klein. Es bleiben die Notfallfonds der nationalen Verbände – oder aber Hilfen durch die Regierung im betroffenen Land selber. Dass die Regierung in Madrid am Ende tatsächlich juristische Schritte unternimmt, scheint trotzdem wenig wahrscheinlich.

In Brüssel prüfen die Juristen derzeit, ob eine Klage überhaupt möglich ist. Denn die deutschen Behörden haben gegen keine EU-Gesetze verstoßen, als sie zuallererst die Verbraucher schützen wollten. Und die drei Hamburger Gurken waren der erste und bisher einzige Hinweis.

Bei den EU-Partnern hält sich das Verständnis trotzdem in Grenzen. In mindestens sieben von ihnen sind mittlerweile Bürger erkrankt , eine Frau in Schweden erlag bereits der Infektion. Aber alle Opfer waren zuvor zu Besuch in Deutschland gewesen. Unmut gibt es auch über die nur langsame Informationsweitergabe.

„Deutschland hat uns nicht schon beim ersten Krankheitsfall informiert, sondern erst, als es bereits den ersten Toten gab“, sagte der polnische Landwirtschaftsminister Marek Sawicki gegenüber „Welt Online“ .

Bauern zeigen ihre Wut offen

Die betroffenen Bauern zeigen ihre Wut offen – und die Politik muss darauf reagieren. Vor dem deutschen Konsulat in Valencia luden spanische Landwirte am Donnerstag 300 Kilogramm Obst und Gemüse ab. „Die Lügen aus Deutschland haben uns ruiniert“ stand auf einem Transparent.

Miguel Cazorla ist einer der Gemüsebauern aus Almeria, der über die Kooperative Frunet den deutschen Markt beliefert und von der Hamburger Senatorin bezichtigt wurde, seine Erzeugnisse seien von den EHEC-Bakterien befallen. „Ich fahre nach Berlin, um der deutschen Presse die Wahrheit zu erzählen“, sagte der 43-Jährige, der 22 Gewächshäuser mit 69 Angestellten betreibt.

Er züchtet neben Gurken auch Tomaten, Zucchini und Melonen, alles in ökologischem Anbau, wie er unterstreicht. Am 2. Mai trat der erste EHEC-Fall auf, „aber die Gurken, auf die sich die Senatorin bezog, kamen erst am 12. Mai dort an.“ Allein für die Anwälte müssten er und andere Betroffene 77.000 Euro die Woche zahlen, so Cazorla. Hunderttausend Kilo Obst und Gemüse sei vernichtet worden, die Arbeit mehrerer Jahre ruiniert.

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EU-Verbraucherkommissar John Dalli drängt Deutschland derweil, die Ursache für die tödlichen Darminfektionen so schnell wie möglich zu finden. „Deutschland muss sein Bemühungen noch verstärken“, so der maltesische Kommissar. Hamburg sei „das Epizentrum der Verunreinigung“.

Deshalb aber vor Reisen in die Region zu warnen, sei „unverhältnismäßig“. Der beste Schutz seien strenge Hygienevorschriften, Obst und Gemüse und die Hände stets gut zu waschen.

Russland verbot wegen der EHEC-Infektionen unterdessen die Einfuhr von Gemüse aus der gesamten Europäischen Union. Bisher galt das Importverbot nur für frisches Gemüse aus Deutschland und Spanien. Grund für die Verschärfung sei die andauernde Ausbreitung des gefährlichen Darmkeims, sagte Russlands oberster Amtsarzt Gennadi Onischtschenko.

Seinen Kollegen in Deutschland und anderen EU-Ländern fehle es zwar nicht an Know-how. „Aber ihre Hände sind in einer überpolitisierten Atmosphäre gebunden.“

Der Schritt löste bei der EU-Kommission in Brüssel scharfen Protest aus. Der Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli sagte in Brüssel: „Wir verlangen von Russland eine Erklärung.“ Doch Russlands Agrarministerium und sogar das wegen der politischen Brisanz auf den Plan gerufene Außenministerium versicherten, es gehe hier nur um den Verbraucherschutz.

Beobachter sprachen hingegen von einer Machtdemonstration Russlands, das mit dem Schritt seine Stärke als Wirtschaftsnation beweisen wolle. Zuvor hatte Russland bereits Gemüse aus Deutschland und Spanien aus den Lebensmittelmärkten entfernen lassen. Russland gilt als größter Einzelmarkt für die Europäische Union. Der EU-Anteil des Gemüse-Imports liegt nach Schätzungen bei etwa 15 bis 20 Prozent.

Mit AFP, dpa

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