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Management Der Herr der Mäuse

Der oberste IT-Chef muss Technikfachmann und Stratege zugleich sein. Wo gibt es solche Alleskönner, die mit Computerhilfe den Erfolg des Unternehmens beflügeln können?
Von Eva Müller und Claus G. Schmalholz

Ganz oben geht es nur noch um drei Buchstaben. Ein großes C für Chief, ein großes O für Officer und dazwischen ein großes E für Executive. Das ergibt das Kürzel CEO und benennt nach amerikanischer Lesart den Vorstandschef eines Unternehmens, den Chief Executive Officer.

Seit geraumer Zeit gibt es ein neues Morsezeichen der Macht. Es lautet CIO und ist die Kurzform für den Chief Information Officer. Das ist jener Topmanager, der die Informationstechnologie eines Unternehmens verantwortet und mit dieser Machtausstattung in den Mittelpunkt des Managements rückt.

Die Computertechnik durchdringt die Unternehmen immer tiefer, die Vernetzung mit Lieferanten, Dienstleistern und Kunden in aller Welt nimmt immer größere Ausmaße an. Die Unternehmen werden an die globalen Datenströme angebunden. Gleichzeitig muss der Datenverkehr nach innen und außen geschützt werden. Das verlangt vom Topmanagement eine intensive Kenntnis der Informationstechnologie und ihres Nutzens für das Unternehmen. Kaufleute konventioneller Prägung fühlen sich oftmals überfordert.

Ein CIO muss her. Ein IT-Vorstand, der die Brücke schlägt zwischen strategischer Ausrichtung und technischer Ausstattung. Einer, der sich in beiden Welten auskennt. Ein Manager, der das Fachchinesisch der Computerexperten übersetzen kann und den wahren Wert der IT-Gerätschaften für den Unternehmenserfolg einzuschätzen weiß. Ein "Superman" also, wie der IT-Branchendienst Silicon.de feststellt.

Welches Unternehmen aber braucht so einen Superburschen überhaupt? Muss ein CIO wirklich im Vorstand sitzen? Welchen Beitrag kann er für die Wertschöpfung des Unternehmens liefern?

Eindeutige, für jedes Unternehmen gültige Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Ein Blick nach Amerika zeigt jedoch, dass der Bedarf an IT-Experten mit ausgeprägten Managementfähigkeiten stetig zunimmt. Laut einer Studie der Personalberatung Korn/Ferry saß in den USA schon vor drei Jahren in jedem zweiten Vorstandsgremium ein CIO, in Deutschland gab es diese Position dagegen nur in jedem siebten Unternehmen.

Weshalb die Deutschen so zögerlich sind? Nun, zum einen sehen viele Vorstandschefs in der Informationstechnik noch immer nur den Technikkram, den man halt braucht, um in diesen modernen Zeiten Geschäfte machen zu können. Eine strategische Bedeutung, gar eine wettbewerbsentscheidende Funktion einer gut funktionierenden IT-Struktur erkennen sie oftmals nicht.

Informationstechnik als Chefsache?

Zum anderen glauben viele Topmanager, dass sie die Entscheidungen über den Einsatz von Hard- und Software selbst treffen können. Einer Umfrage der Unternehmensberatung Compass zufolge betrachtet jeder zweite Firmenführer die Informationstechnik als Chefsache.

Leider aber haben die meisten Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden nur rudimentäre Kenntnisse von Computern, Software und Internet ­ was zu fatalen Fehleinschätzungen führen kann. Gerade wenn die Arbeitsabläufe in einem Unternehmen schon weit gehend digitalisiert sind (besonders bei Banken, Versicherungen und Fluggesellschaften, aber auch überall dort, wo die Fertigung von Computern gesteuert wird), ist das Engagement eines CIOs dringend geboten.

Ob der oberste IT-Chef im Vorstand sitzt, ist letzten Endes nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass er direkt an die Unternehmensspitze berichtet und als verantwortlicher Manager die IT-Struktur im Unternehmen optimieren kann.

Der wichtigste Unterschied zum althergebrachten IT-Leiter besteht darin, dass der CIO vom Technikverwalter zum Treiber des gesamten Geschäfts geworden ist. Das ist die neue Rolle des Chief Information Officers. Im Idealfall.

Heinz Kreuzer (47) verkörpert so einen CIO des neuen Typs. Bei den Touristikunternehmen des Preussag-Konzerns, wie der TUI, soll er die verschiedenen Computersysteme miteinander verzahnen, um einen reibungslosen Datenaustausch zu ermöglichen. "Die Informationstechnik hat bei uns eine Schlüsselstellung, weil es in der Touristik viele einheitliche Prozesse in Einkauf und Abwicklung gibt", sagt der Diplommathematiker.

Als Kreuzer seinen Job übernahm, stellte er sich die Frage: Welche Faktoren fördern die Entwicklung der Touristiksparte bei Preussag?

In enger Abstimmung mit den Fachbereichen fand er vier Kriterien: internetbasierte Vertriebswege, Marktplatzlösungen zur Kapazitätssteuerung, Vereinheitlichung der technischen Infrastruktur und Customer Relationship Management. Aus diesen vier Punkten entwickelte Kreuzer einen Fahrplan für sein Ressort.

Zur Effizienzsteigerung sucht Kreuzer auf allen Stufen der Wertschöpfungskette im Konzern nach Optimierungsmöglichkeiten. Ein Beispiel: Die Reisebüros oder die Agenturen vor Ort in den Urlaubsländern werden mit webfähigen Systemen ausgestattet und an das Internet angebunden. So können sich die Agenturen bei der Betreuung der Kunden in den Reisegebieten schneller abstimmen. Um die Wertschöpfung zu erhöhen, will Kreuzer interne Marktplätze schaffen, die einen Austausch von Hotelkapazitäten ermöglichen. Später sollen auch Dritte diese Funktion nutzen können.

Hinter dem Stichwort Vereinheitlichung der technischen Infrastruktur verbirgt sich Kreuzers Bemühen, im IT-Bereich innerhalb von zwei bis drei Jahren Kosten in Höhe eines zweistelligen Millionen-Euro-Betrages einzusparen. Unter anderem will er Datenleitungen konzernweit nutzen und zu günstigeren Preisen mieten.

Intensivere Nutzung der Kundendaten

Punkt vier seiner IT-Strategie ist die intensivere Nutzung der Kundendaten, neudeutsch Customer Relationship Management genannt. Kreuzer will den Touristikexperten im Hause die Möglichkeit geben, das Reiseverhalten der Kunden besser zu analysieren. Anhand dieser Daten können zum Beispiel neue Produkte entwickelt werden.

So klar wie bei Heinz Kreuzer lässt sich das Profil eines typischen CIOs selten zeichnen. In der Praxis sind die Aufgaben und Befugnisse der IT-Chefs noch immer höchst unterschiedlich.

Mal ist der CIO nichts anderes als ein traditioneller EDV-Leiter, der sich vorwiegend um die Technik kümmert und nur einen schönen neuen Titel trägt. Mal wird er schlicht als Kostenkiller eingesetzt, der den teuren Wildwuchs der verschiedenen Systeme beschneiden soll.

Die Bezeichnung CIO verdienen derartige Jobs kaum. Die Aufgabe eines IT-Chefs im Vorstandsrang besteht darin, mit Hilfe der Informationstechnologie zur Steigerung der Wertschöpfung im Unternehmen beizutragen.

Wie hoch dieser Beitrag sein kann, beschreibt Hans-Joachim Nitschke, IT-Vorstand bei der Comdirect Bank, sehr genau: "Die Wertpapierorder eines Kunden wickeln wir via Computer 25-mal billiger ab als über das Callcenter."

Rund 90 Prozent sämtlicher Arbeitsabläufe der Bank sind inzwischen von der Computertechnik abhängig, unter anderem weil Nitschke und seine Vorstandskollegen schon vor fünf Jahren aufs Internet gesetzt haben. Nitschke investierte bei Comdirect in den letzten Jahren über 60 Millionen Euro in die Informationstechnik.

Auch in vielen anderen Unternehmen zählen die IT-Budgets häufig zu den größten Einzeletats. Heinz Kreuzer verantwortet bei der Preussag ein Budget in Höhe eines dreistelligen Millionen-Euro-Betrages.

Folglich steht der CIO unter hohem Druck, die Amortisationsfähigkeit seiner Investitionen unter Beweis zu stellen. Bei der Erfolgskontrolle ihrer obersten IT-Verantwortlichen sind die Vorstandschefs deshalb besonders kritisch.

Einige prominente Toptechnologen sind an diesen hohen Anforderungen bereits gescheitert.

Im Dezember erwischte es Gerhard Barth (52), bis dahin CIO der Dresdner Bank. Ihm wurde gekündigt, weil er die Kosten nicht in den Griff bekam.

Im Oktober feuerte der Pharmakonzern Aventis seinen Chief Information Officer Ragnar Nilsson (52). Der IT-Chef verfügte über einen Milliardenetat, konnte sich aber im Streit um das richtige Computersystem der beiden verschmolzenen Unternehmen Hoechst und Rhône-Poulenc nicht durchsetzen. Die beiden Beispiele zeigen, dass der Chefsessel des CIOs ein Schleudersitz sein kann.

Das liegt häufig daran, dass viele Vorstandsvorsitzende Wunderdinge von ihren CIOs erwarten ­ nicht ahnend, dass allein die Zusammenführung verschiedener Betriebssysteme voller Tücken und Fallen steckt.

IT-Diplomaten gefragt

Zu den technischen Problemen gesellen sich häufig kulturelle Differenzen, die es zu überbrücken gilt. Der Einsatz des einen oder anderen Computersystems wird nicht nur unter Fachleuten gern zur Glaubensfrage hochstilisiert. Ex-Aventis-CIO Nilsson scheiterte am internen Streit, ob ein SAP-System zum Standard werden sollte oder eine französische Eigenentwicklung. Nilsson votierte für SAP.

So nimmt es kaum wunder, wenn Peter Schumann (36), seit Dezember oberster IT-Chef beim Logistikunternehmen Schenker, zu den unabdingbaren Eigenschaften eines CIOs die folgenden zählt: "Man muss zwischen den unterschiedlichen Interessen vermitteln können. Dazu braucht man Einfühlungsvermögen, aber auch einen breiten Rücken."

Schumanns Aufgabe ist eine klassische Querschnittsfunktion, die mit entsprechenden Reibereien verbunden ist. Er soll die fünf bislang getrennten IT-Bereiche aus den jeweiligen Vorstandsressorts zusammenführen. Immer wieder muss Schumann erklären, anbieten, nachbohren und anregen.

In den nächsten Jahren muss Schumann Millionen in die Integration und Erneuerung der Computersysteme investieren, um die Logistiksysteme von Schenker zu Wasser, zu Land und in der Luft effektiver miteinander zu verknüpfen.

Als CIO, so Schumann, trage er drei Hüte. Er müsse Visionär, Manager und Technologe zugleich sein.

Eine Ausbildung für diesen Job gibt es nicht. Uwe H. Kamann, Vorstandsmitglied der Unternehmensberatung CSC Ploenzke, nennt folgendes Idealbild: "Am besten für die Rolle des CIOs ist ein Wirtschaftsinformatiker geeignet, der in jedem Fall über Managementerfahrung und strategische Kompetenz verfügen sollte."

Das klingt wie eine Kurzform des Lebenslaufs von Peter Schumann. An der Württembergischen Verwaltungs- und Wirtschafts-Akademie studierte er Betriebswirtschaft mit Fachrichtung Datenverarbeitung. 1988 stieg Schumann bei Daimler ein und baute unter anderem ein IT-System für die Konzernrevision auf.

Als Schumann 1999 zu Opel wechselte, stellte er eine Bedingung: "Ich habe auf dem CIO-Titel bestanden, um vor allem gegenüber den US-Kollegen und Dienstleistern meine Rolle als oberster IT-Chef klar zu machen."

So viel Selbstbewusstsein mag in Schumanns Fall angebracht sein. In den meisten deutschen Unternehmen allerdings gehört der CIO nicht zu den führenden Köpfen im Management.

Beispiel HypoVereinsbank: Eberhard Rauch (53), ehemaliger IT-Chef des Münchener Kreditinstituts, hatte Ambitionen und Aussichten, Nachfolger von Vorstandssprecher Albrecht Schmidt (63) zu werden. Bei der Verkleinerung des Vorstands auf sechs Strategen blieb Rauch dann aber außen vor; wiewohl die analytischen Fähigkeiten des CIOs unbestritten waren. Der IT-Experte zog die Konsequenzen und ging. Ausgeraucht.

Die Demission des Bankers fügt sich in das Image der CIOs, das den obersten IT-Managern hier zu Lande nur in wenigen Branchen wie der Telekommunikation eine strategische Rolle und Bedeutung zugesteht. Eine Ansicht, die sich in vielen Fällen als Fehleinschätzung erweisen könnte.

Die globale Vernetzung der Unternehmen wird weiter fortschreiten. Die Verbindungen via Informationstechnik werden immer engmaschiger. In gleichem Maße steigt die Notwendigkeit, einen Fachmann auf höchster Führungsebene zu installieren, der die Bedeutung dieser Entwicklung für die Unternehmensstrategie einschätzen kann und daraus die notwendigen Maßnahmen des Managements ableitet.

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