KOMMENTAR: Totengräber verborgener Welten

Die gescheiterte Revolution von The Secret World ist nicht weniger als ein Fanal für die MMO-Branche

Mit Revolutionen ist das so eine Sache, manche gelingen, manche fahren sich fest, nach anderen schwingt das Pendel in die genaue Gegenrichtung. Man muss, um diese These zu untermauern, den Blick nur nach Nordafrika wenden. Die frische Brise des arabischen Frühlings schlägt mittlerweile mit eiskaltem Winterhauch zurück und lässt Ägypten wie Tunesien in eine ungewisse Zukunft steuern.

Seit Sektierer den Sonnenkönig Echnaton wieder zu erwecken versuchen, brodelt nicht nur der Boden in Ägypten. (eig. Screenshot)
Bösartige Kreaturen entsteigen dem Wüstensand und fallen vom Himmel. Seit fanatische Sektierer den Sonnenkönig Echnaton wieder zu erwecken versuchen, brodelt in Ägypten nicht nur der Boden. (eig. Screenshot / mein Spieleravatar Lionsheart im Vordergrund)

Nun mag der geschlagene Bogen zur Games-Branche zunächst nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar sein. Doch ist diese Vergleich keinesfalls abwegig, denn auch hier hat sich eine Revolution sang- und klanglos in die Ungewissheit verlaufen, obwohl sie mit großen Hoffnungen im Herbst 2012 gestartet war. ->The Secret World wollte komplexe Erzählungen endlich auch in Online-Rollenspielen etablieren, konnte aber diesen Anspruch nicht erfüllen.

Die Entwicklung ist umso bedauerlicher für die gesamte Landschaft von Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs), weil eine detaillierte Analyse offenbart, dass die Umwälzung nicht in ihrem Kern fehllief. Vielmehr zerschellte sie an den Riffen vermeidbarer Begleitumstände…

In anderen Umständen

Der norwegische Entwickler ->FunCom hatte lange Jahre weitgehend unter dem Radar der Spieleszene an einem Onlinerollenspiel gearbeitet, das beweisen sollte, solche MMORPGs würden sich auch als komplexes Erzählmedium eignen. Nichts anderes hatte schon 1997 die Computernarratologin ->Janet Murray in ihrem Buch „Hamlet on the Holodeck“ quasi geweissagt, als sie die Strukturen von Erzählformen im damaligen Web umfassend analysierte.

Gleichwohl, verfolgte man all die danach folgenden Jahre Interviews und sprach mit Entwicklern wie Publishern, wurde das Mantra vor sich hergetragen, Online-Rollenspiele seien doch alles andere als für Erzählungen geeignet. Sicherlich: nach der Jahrtausendwende spielte dabei auch die krampfhafte Selbstbehauptung der jungen wissenschaftlichen Disziplin der Game Studies eine Rolle. Um sich von Film- und Literaturwissenschaften abzugrenzen, lehnten Forscher wie ->Jesper Juul sehr vernehmlich und kategorisch digitale Spiele als narratives Medium ab – zum Beispiel in seinem Buch „Half-Real“ aus 2005. Sie schufen, an die Spieltheorie angelehnt, die Ludologie als Dogma. Spiele seien eben nur als Spiele betrachtbar.

Wie so oft, wenn die Dinge kategorisch und absolut werden, scheitern sie, sobald sie an der Wirklichkeit gemessen werden. Natürlich folgen Spiele allein schon wegen ihres interaktiven und partizipativen Charakters anderen Regeln als Schmöker oder Zelluloid. Aber sie sind eben auch zu großen Teilen narrativ. In den 2000ern lieferte auch ich mir deswegen mit Wissenschaftlern und Kreativen der Branche teils unschöne Schlagabtäusche – als Historiker, der ein Fan von Geschichte(n) und Videospielen gleichermaßen war und ist, wenig verwundernswert. Mittlerweile gibt sich die Wissenschaft um die Games wesentlich gemäßigter, und auch Juul hat seine einstige Schärfe deutlich relativiert. Nun, könnte man schnippisch sagen, ist die Disziplin ja auch erfolgreich etabliert. Allein dem Mantra, dass sich hartnäckig  innerhalb der Spielebranche hält, ist bis heute nicht beizukommen.

Guter Hoffnung

In diesem Klima erntete die Entwicklung von ->The Secret World, dem besagten MMORPG von ->FunCom, Reaktionen, die von teilnahmslosem Schulterzucken bis hin zu eher verächtlichem Schmunzeln reichten. In der Tat hatten sich die Entwickler eine Menge zusätzliche Arbeit aufgehalst, um über das stoische Beutesammeln der zahlreichen Konkurrenten hinauszugehen. Erstmals sollten im wesentlichen Kern komplexe, einander ergänzende Geschichten zu einer reichhaltigen Hintergrundwelt verwoben werden, verknüpft mit klassischen Elementen der MMORPGs wie dem Gefecht gegen Mitspieler (genannt PVP = Player vs. Player) oder dem kooperativen Kampf gegen besonders mächtige Bösewichte (Raids).



In The Secret World erproben die Entwickler von FunCom eine völlig neuartige Spielwelt, eine vielseitige Rahmenhandlung und innovative Missionskonzepte. (Developer Diary: Story and Missions / Kanal IGN via Youtube)

Dabei ging, so konnte man nach Erscheinen des Spiels feststellen, das norwegische MMO tatsächlich neue Wege. Aufträge, die jeweils für sich kleine Teilgeschichten erzählen, beleuchten detailreich und liebevoll die Spielwelt, und seien sie auch noch so klein. Die Grundkonstruktion des Settings war dieser Struktur sehr zuträglich. Der Handlung des Spieles geht ein zum Spielbeginn unbekanntes Ereignis voran, dass alle nur erdenklichen Mythen und Legenden in unserer modernen, bislang sicher geglaubten Welt Gestalt annehmen lässt. Den Schöpfer von ->The Secret World, ->Ragnar Tørnquist, nimmt das Thema einer verborgenen mystisch-magischen Welt hinter unserer Realität in vielen seiner Spiele seit ->The Longest Journey (2000) ein. Dieser Geist durchdringt auch ->The Secret World.

Das detailverliebt gestaltete London dient der Fraktion der Templer als zentraler Knotenpunkt (Hub). (eig. Screenshot)
Das detailverliebt gestaltete London dient der Fraktion der Templer als zentraler Knotenpunkt (Hub). (eig. Screenshot)

Eine tiefe und vielseitige Gesamthandlung führt in wendungsreichen Quests durch Spielgebiete von der nordamerikanischen Ostküste über Ägypten nach Transylvanien. Gelegentlich gelangt der Spieler auch mal ins visionäre Traumland einer anderen Dimension, beherrscht von uralten Kräften, welche die Menschheit von Anbeginn umtreiben. Als heimatliche Knotenpunkte der drei spielbaren Fraktionen dienen die modernen Metropolen London, New York und Paris, malerisch inszeniert und lebendig bevölkert. Eine großartige Spielwelt, die zwar reichlich Fragen offen lässt, erzählerische Wünsche jedoch nicht. Ein besonderer Pluspunkt sind die sprachlich stimmungsvoll lokalisierten, filmgleich inszenierten Cutscenes, die gerade in MMOs ihresgleichen suchen. Abgesehen von den Nebenaufträgen, die gelegentlich etwas generisch wirken, sind so alle Hauptquests und die Storyline packend eingebettet.

Zudem unterscheiden sich Aufträge in drei Typen. In Schleichmissionen sollte man Gelärme und Waffengebrauch lieber unterlassen, weil solch ein Vorgehen die Lebenserwartung drastisch reduziert. Ausgiebig kann jeder in genretypischen Kampfaufträgen Gefechte nachholen. Eindrucksvoll und teils sehr aufwändig zu lösen, sind aber Investigativmissionen. Um diese zu lösen, sind häufig sogar Recherchen im Web nötig, wobei die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit verschwimmen. Dann nämlich, wenn man mit dem integrierten Ingame-Browser auf Firmenwebseiten z.B. der ->Orochi-Group stößt, die im echten Web eigens für das Spiel angelegt wurden, oder auf Verschwörungsvideos, die bei Youtube zu finden sind. Die Aufgaben sind manchmal so komplex, dass sogar hebräische Zeichen in arabische übertragen werden wollen oder rumänische Polizeiakten zu übersetzen sind.

Einzigartig gut vertont in mehreren Sprachen, leiten stimmungsvolle Zwischensequenzen auch durch Nebenmissionen, die einen Oscar verdient hätten - sieht man von teils hölzeren Animationen ab. (eig. Screenshot)
Einzigartig gut vertont in mehreren Sprachen, leiten stimmungsvolle Zwischensequenzen auch durch Nebenmissionen, die einen Oscar verdient hätten - sieht man von teils hölzeren Animationen ab. (eig. Screenshot)

In den Wehen liegend

Warum ist – bei diesem Potpourri an guten Ideen, die noch nicht einmal vollständig aufgeführt sind – The Secret World kein umjubelter Kandidat der ->Video Game Awards geworden? Wieso firmiert das Mastermind hinter FunComs großen Erfolgen, Ragnar Tørnquist, nun auf Kickstarter mit einer neuen Entwicklertruppe und ist nur noch formal der Creative Designer des MMOs?

Es wäre falsch, den auch in den ->Geschäftsberichten von 2012 nachzulesenden enormen Misserfolg nun allein der unverständigen Spielerschaft anzulasten, welche die hehren Motive des Spiels nicht erkannt hätte. Zwar hat sich wirklich ein Teil der Spielerschaft, besonders der erheblich actionlastigere Teil in Übersee, nicht einmal annähernd auf das neue Konzept eingelassen. Erwartet wurde dort schlicht die übliche Spielmechanik, vielleicht das über Elfen, Orks und Jedi-Ritter hinausgehende Setting bestenfalls noch toleriert. Dennoch gab es auch eine große Zahl von Spielern, die das Gesamtpaket durchaus ansprach. Immerhin erzielte die Userwertung von ->Metacritics saftige 8,3 von 10 möglichen Punkten. Dieses Internetportal fasst weltweit die Wertungen von Magazinen und Spielern zu einer Gesamtwertung zusammen und dient der Games-Industrie sogar so sehr als Maßstab für Erfolg und Misserfolg von Videospielen, dass gewisse Mindestwertungen sogar vertraglich zwischen Publishern und Entwicklern festgeschrieben werden. Aufgrund dieser hochgradig positiven Spielerwertung wäre es ebenso falsch, den Misserfolg dem narrativen Spielkonzept zuzuschreiben.

Richtig ist aber auch, dass The Secret World durch einen problematischen Kniff versuchte, die Spieler zu ihrem Erzählvergnügen zu nötigen. Während andere MMOs erlauben, mehrere Questaufträge zu sammeln und parallel zu erledigen, darf der Spieler lediglich jeweils einer aktiven Quest durch die verborgenen Welten folgen. Durch diesen Zwang möchte der Entwickler dazu anhalten, die Geschichten, die man auswählt, auch vollständig und am Stück zu erleben. Besonders Spieler, die durch alle anderen konkurrierenden MMOs gewöhnt sind, hauptsächlich die besten Items wie Rüstungen und Waffen zu erspielen, fühlen sich dadurch aber gegängelt.

Alina bietet im Schattenhaften Wald einen Kampfauftrag (rot) und eine Investigativmission (grün). Am rechten Bildrand stapeln sich weitere Aufträge, wobei blau für die Hauptgeschichte steht, lila Gruppenerlebnisse hervorhebt (Dungeons) und zu einer Hauptquest (rot, gelb, grün) noch bis zu drei Nebenmissionen verfolgt werden können. (Auschnitt / eig. Screenshot)
Alina bietet im Schattenhaften Wald einen Kampfauftrag (rot) und eine Investigativmission (grün). Am rechten Bildrand stapeln sich weitere Aufträge, wobei blau für die Hauptgeschichte steht, lila Gruppenerlebnisse hervorhebt (Dungeons) und zu einer Hauptquest (rot, gelb, grün) noch bis zu drei Nebenmissionen verfolgt werden können (türkis). (Auschnitt / eig. Screenshot)

So tobten diese sogenannten Grinder bzw. Achiever, also vorwiegend an Charakterentwicklung, Beute und dem Kampf gegen andere Spieler Interessierte, erheblich im Web gegen ->The Secret World. Dabei gelingt durch diesen Kniff tatsächlich eine deutlich bessere Erzählatmosphäre als in anderen Online-Rollenspielen. Anstatt ständig zwischen Handlungssträngen und unterschiedlichem Sagenstoff zu hüpfen, bleibt man so bei einem Setting, den handelnden Personen und ihren Motiven. Mich selbst überzeugte dieser Ansatz nach anfänglichem Missmut sogar ausgesprochen stark. Wie viel besser diese Methodik funktioniert, lässt insbesondere der Vergleich zum großspurig als Erzählrevolution angekündigten Star Wars – Franchise ->The Old Republic von ->Bioware erkennen, das keine solchen neuen Wege versuchte.

Allein, die meisten Spieler wandeln auf sehr ausgetretenen Pfaden, und so war die Diskrepanz zwischen Spielermeinungen so weit wie noch nie zuvor. Auch Spielemagazine und -webseiten weltweit wogen die Entwickler entweder in Gold auf – oder überhäuften sie mit Gülle. Dazwischen lag kaum etwas, was in der Schärfe dieses Kontrasts einen einmaligen Vorgang in der Geschichte der Videospiele darstellt. Auch ->FunCom gab die eigene Verwirrung darüber kund (Eurogamer, 14. August 2012), und so gelang es auch niemandem dort, die Diskussion nützlich zu kanalisieren.

Der Monogamiezwang im Questsystem erhöht zudem nicht nur die Laufwege, weil man stets zu denselben Auftraggebern zurückschlurft. Auch Mitspieler zu finden, gestaltet sich dadurch sehr schwierig, wenn man allein einen Gegner nicht bezwingen kann. Da eine Quest unterbrochen wird, wenn man zur Hilfe in einer anderen eilt, mag niemand so recht zusammen spielen. Damit der helfende Spieler seinen Faden wieder aufnehmen kann, muss er einen Beteiligten an dem Quest oft wieder aufsuchen. Und wieder latscht man durch ganze Regionen. Wie es den Entwicklern einfallen konnte, einen so eklatanten Fehler bei der Kerneigenschaft von MMOs, beim gemeinschaftlichen Spiel, zu setzen, lässt angesichts eines Jahrzehnts an Erfahrungen von FunCom im Genre der Online-Rollenspiele nur fassungslos den Kopf schütteln. Eine pausierende Funktion für die Quests per Tastendruck hätte da bereits Wunder gewirkt – sie aber kam bis heute nicht.

Für das Multiplayermilieu haben von Anfang an auch Einsätze für größere Gruppen, sogenanne Raids, gefehlt, was viele erfahrene Onlinespieler vergrätzte. Die aufregend in Szene gesetzten Dungeons für kleine Teams und die Gebiete, in denen Spieler gegeneinander zu Felde ziehen (PVP), genügten da einfach nicht, um das Fehlen der Raids aufzufangen. Erst Monate nach dem Erscheinen des Spiels wurde mit dem Time Square von New York eine beeindruckende Raid nachgereicht – immerhin. Da hatten jedoch viele Spieler wegen des mangelnden Endspielinhalts bereits die Reise in andere Spielwelten angetreten.



Auf dem Times Square in New York tritt das Grauen zutage, um dass sich mehrere Spieler vereint kümmern müssen. (Trailer Issue 4 Big Trouble in Big Apple / Kanal FunCom via Youtube)

Viele spielmechanische Elemente sind, das kommt noch hinzu, sehr gut durchdacht, allerdings schlecht bis überhaupt nicht erklärt. Anfänger überfordert zum Beispiel schlicht das völlig freie System an Hunderten von Fertigkeiten, die mit kryptischen Bezeichnungen etwa Flächenschaden nicht erläutern, sondern eher kaschieren. Da sich das Spiel mit seinen neuen Ansätzen geradezu anbot, nicht vorerfahrene Spielerschichten neu fürs Genre der MMORPGs zu begeistern, ist diese Nachlässigkeit umso bedauerlicher.

Geburtskomplikationen

Und doch wog all dies nicht so schwer wie das eklatante Versagen von Management und Marketing. Es gab kaum einen Bereich, in dem zum Erscheinen des Spiels keine Fehlentscheidungen getroffen waren. Die Liste ist schier endlos.



Von diesem Marketingbombast hätte The Secret World ruhig mehr vertragen können - der offizielle Launchtrailer rührte eine nachdenkliche Saite an. (Launch Trailer / Kanal Electronic Arts deutsch via Youtube)

Schon im Vorfeld hatten sich die Anstrengungen sehr in Grenzen gehalten, das MMO zu bewerben. Völlig ohne Selbstbewusstsein – vor allem aber angesichts der teils begeisterten Vorberichte völlig ohne Not – ließ ->FunCom sich sogar dazu hinreißen, ->The Secret World als einen Nischentitel für eine begrenzte Spielerschaft zu bezeichnen. In den Games-Medien war nach ersten, durchweg positiven Vorschauartikeln kaum mehr etwas zu sehen. Bis auf einen grandiosen Launchtrailer und ein wenig beachtetes Browserspiel gab es von Printmaßnahmen oder digitalem Marketing keine Spur. Zudem war der Verkaufstart kurz vor der Veröffentlichung von ->Guild Wars 2 von ->Arenanet eine die Erfolgsaussichten unnötig selbstverstümmelnde Fehleistung. Denn, dass diese bereits erfolgreiche Marke sehr viel zugkräftiger sein würde, war absehbar. Viele Käufer warteten lieber auf dieses MMO. Da solche Spiele sehr zeitintensiv sind, war für ein weiteres wie ->The Secret World zum Vollpreis schlicht kein Raum. Außerdem verzichtet ->Arenanet bei Guild Wars traditionell auf Abogebühren.

Viele Spieler hatten darüber hinaus die Hauptinhalte des Spieles bereits gesehen. Vermutlich aus Angst, das Meer aus schwerwiegenden Fehlern im letzten großen FunCom-MMO ->Age of Conan (AoC) würde sich wiederholen, ließen sie Tausende von Betatestern vor Abverkauf große Teile der Spielwelt erkunden. Etwa 1.3 Millionen Interessenten hatten sich ursprünglich für den Betatest registrieren lassen. Die Beta ist eine Phase, in der unter Beteiligung vieler Spieler die Funktionen eines Programmes auf Fehler abgeklopft werden. Bei den damaligen Schwierigkeiten mit groben Programmierfehlern war AoC in wenigen Wochen von einem Überflieger zu einem gerupften Hühnchen geschrumpft. Hatten die Startgebiete und die Inszenierung mehr als 400.000  zahlende Kunden eingebracht, so sorgten Bugs bis zur Unspielbarkeit und die Leere im weiteren Spielverlauf für wütende Kunden, die fluchtartig die Server verließen. Dieses Fiasko wollte FunCom wohl bei dem neuen MMORPG vermeiden. Die Erstspieler aber von ->The Secret World hätte es gegolten, irgendwie an das Spiel zu binden. Sie hatten in der langen Betaphase aber schon Vieles gesehen – das heißt, bevor überhaupt ein Cent verdient worden wäre.

Da das Spiel aber seinen Schwerpunkt auf Narration legt, waren diese Inhalte natürlich nicht schnell genug zu erweitern. FunCom hält zwar bis heute Wort, im guten Monatstakt neue Storyinhalte einzupflegen. Diese Updates werden wie ein Zeitschriftenformat in Issues präsentiert, von denen bereits acht erschienen sind. Doch so packend sie auch inszeniert sind, reichen sie doch nicht, um jemanden wieder anzulocken, der das Weite bereits gesucht hat.



Guild Wars 2 war als Konkurrent auch wegen seines Bezahlkonzepts übermächtig. Das schadete sicher dem Verkauf von The Secret World. (Trailer The Living World of Guild Wars / Kanal ArenanetOfficial via Youtube)

Zudem setzten die Norweger auf ein völlig überholtes Geschäftsmodell: Ein Abosystem, in dem das Spiel gekauft werden muss UND monatliche Spielgebühren anfallen, funktioniert mittlerweile nicht einmal mehr beim Branchenriesen ->Blizzard mit ->World of Warcraft. Wie FunCom vor diesem Hintergrund auf die unfassbare Fehlentscheidung kam, ebenfalls ein Abomodell zu fahren und dann preislich auch noch HÖHER als das etablierte Urgestein zu liegen, ist mir nicht nicht im Geringsten verständlich. Der oben erwähnte, bekanntere Konkurrent im Abverkauf zur Zeit des Release, ->Guild Wars 2, hat ein Bezahlmodell, das „Pay Once, Play Forever“ heißt. Obwohl es ein MMORPG ist, kauft man die Packung zum Vollpreis, aber weitere Onlinegebühren fallen nicht an. Wieder ließ FunCom eine empfindliche Flanke offen. Ich habe hier in meinem Blogbeitrag ->INNOVATION: Da wohnt doch was im Schrank vom 5. Oktober 2012 bereits gemutmaßt, dass für diese anachronistische Vollpreispolitik der Publisher ->Electronic Arts (EA) verantwortlich gewesen sein könnte, der mit einem auffallend ähnlich gestalteten, unzeitgemäßen Konzept selbst die lukrative „Star Wars“-Lizenz bei dem MMORPG ->Star Wars: Die alte Republik vor die Wand fahren ließ.

Hinderliche Kleinigkeiten wie die, dass sofort bei der Installation eine Kreditkarte angegeben werden musste, fallen da schon gar nicht mehr ins Gewicht. Wer also keine hatte, merkte erst in der Installation, dass er draußen bleiben musste. Guthabenkarten wie zum Beispiel beim Konkurrenten ->World of Warcraft oder bei ->Bioware gab es als alternative Zahlungsweise nicht. Als wäre alles, was ich hier aufgeführt habe, noch nicht genug, meldete das Gaming-Portal ->The Escapist im September 2012, dass wohl einer der Vorstände massiv die Aktienkurse manipulierte, was das Unternehmen zusätzlich noch in eine personelle und finanzielle Krise stürzte (->Former FunCom CEO Faces Insider Trading Allegations, in: The Escapist vom 11. September 2012). Das war gehöriges Pech.

Das Management hätte statistisch eigentlich gar nicht mehr Fehler machen können, setzte sie aber dennoch fröhlich fort. Kaum blieben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück, denn trotz der vielen Anmeldungen für den Betatest konnten nur 200.000 Exemplare zum Start verkauft werden, kündigte FunComs neues Management Massenentlassungen an. Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um mehr Spieler zu gewinnen, schreckte man so noch mehr Interessierte ab, denn die Bezahlpolitik änderte FunCom nicht. Die Norweger konnten nicht ernsthaft erwartet haben, jemand würde den Preis für ein Vollpreisspiel mit einem Abonnemont in der Aussicht bezahlen, dass vielleicht kurzfristig die Server eingestampft würden. Erst als im Dezember 2012 diese Politik unter dem Slogan „Pay Once, Play Forever“ umgestellt wurde, konnte eine erhebliche Zahl von Neukunden gewonnen werden. Doch offenbar war dies viel zu spät, denn weitere Entlassungen und Umstrukturierungen folgten und verunsicherten auch diese neuen Interessenten.

Der Shop war von anfang an implementiert, bot aber häufig nur minimale Variationen immer derselben Gegenstände. Mittlerweile aber hat FunCom hier - trotz aller Defizite - auch sehr sinnvolle Neuerungen integriert. (eig. Screenshot)
Der Shop war von anfang an implementiert, bot aber häufig nur minimale Variationen immer derselben Gegenstände. Mittlerweile aber hat FunCom hier - trotz aller Defizite - neben kostenpflichtigen Storypaketen auch andere sinnvolle Objekte integriert. (eig. Screenshot)

Dabei hatte The Secret World von Anfang an bereits einen Shop für Gegenstände, die man im Spiel nutzen kann. Für solche Ingame-Items sind manche Spieler bereit, durchaus teuer zu bezahlen. Dabei kann es sich um besondere Waffen handeln, Kleidung oder einen neuen Haarschnitt für den Spieleravatar, ein Haustier oder auch nur trendige Boots. Damit ließe sich gutes Geld verdienen. Dadurch hätte man schnell umsteuern können, wenn das Bezahlmodell sehr viel früher geändert worden wäre. Niemand hat schließlich Verständnis, wenn ein Vollpreis plus Abogebühren zu bezahlen sind, und solche Gegenstände noch einmal zusätzlich etwas kosten. Da dies aber lange unterblieb, stand FunCom sich für diesen Befreiungsschlag selbst im Weg. Zumal auch das Warensortiment von Anfang an völlig undurchdacht war. Niemand benötigt ein Angebot von nur drei Hosentypen, die sich allein in ihren Farbewerten unterscheiden. In DIESER Form wären die Angebote im Shop sicher auch nicht gekauft worden.

Totgeburt?

Nun muss ich nach all den negativen Punkten jedoch auch eine Lanze für das Spiel brechen. Es ist keineswegs so, dass ->The Secret World unspielbar wäre, im Gegenteil ist es für mich das bislang wohl am Besten ausgestaltete Erzählerlebnis in einem MMORPG. Ein reizvolles Glanzstück, das nahezu unendlich durch seine Spielwelt fesselt und sogar weitgehend fehlerfrei ist. In der gesamten Spielzeit seit September 2012 ist mir auf meinem Weg bis in die dritte große Region Transylvanien nur ein defekter Quest und ein funktionsunfähiger Gegenstand untergekommen. Und ich sauge akribisch jeden noch so kleinen Auftrag auf. Nach einer Phase der Eingewöhnung empfinde ich auch das Talentmenu als wunderbar aufgeräumt. Für mich und viele andere ist es das innovativste und stimmungsvollste MMO seit vielen, vielen Jahren – und vermutlich auch für viele, viele folgende Jahre.

Umso größer ist das Desaster dieses schleichenden Niederganges für das Genre und die Branche. Zunächst einmal hat sich das Genre in den vergangenen Jahren nicht gerade um Innovationen verdient gemacht. Dies kritisieren viele langjährige Beobachter wie zum Beispiel Benedikt Plass-Fleßenkämper scharf (-> NEWS: Krawall mit MMORPGs, in: Keimling vom 9. Mai 2012). So hat sich die Spielmechanik im Grunde nie wirklich geändert, vollmundige Ankündigungen, etwa die klassische Queststruktur mit herumstehenden Auftraggebern zu durchbrechen, entpuppten sich als Marketingblasen (->Guild Wars 2, ->Star Wars: Die alte Republik). Erkennbar durch die Spieler veränderliche Spielwelten durch Instanzen, also sozusagen individuelle Realitätsblasen für einzelne Spieler oder kleine Gruppen, sind bislang nur halbherzig eingeführt worden. Gildenstruktur, Kommunikationsformen, stupide Sammelaufträge, Charakterstufen, die Formen des PvP – also Kämpfe von Spielern nicht gegen Spielfiguren, sondern untereinander – und die gierige Dauersuche nach besonderen Items wie Rüstungsteilen oder Spruchrollen: all diese spielmechanischen Prinzipien befinden sich seit zehn Jahren im Stillstand. Zudem sind bis auf wenige Ausnahmen wie ->Star Wars: Die alte Republik nur Fantasy-Szenarien mit bärbeißigen Orks, flinken Bogenschützen-Elfen und untoten Hexenmeistern in pseudomittelalterlichen Welten am Markt erfolgreich: Ob nun ->World of Warcraft, ->Everquest II, ->Der Herr der Ringe – Online, ->TERA oder der vom World Design bishin zu Farbkomposition und Schriftart besonders dreiste Klon von World of Warcraft namens ->Runes of Magic – die Liste erscheint schier endlos.



Der Herr der Ringe Online profitiert von der großen Fantasylizenz und ist damit sehr erzählstark, ragt jedoch dennoch nur wenig aus dem verbreiteten Einheitsbrei der Fantasy aus Orks, Zwergen, Elfen und Magie. (Trailer Addon Helms Klamm / Warner Bros. DE via Youtube)

Im Zuge der veränderten Geschäftsmodelle und, einhergehend mit wachsender Konkurrenz, sinkenden Spielerzahlen je Titel, befindet sich das Genre im Grunde sogar im Rückschritt. Um für mehr Spieler attraktiv zu werden, sinkt der Grad der Schwierigkeit, so dass beispielsweise ->World of Warcraft sich mit den Veränderungen des letzten Jahres so anstrengend spielt wie ein Tag in einer Krabbelgruppe. Zudem traut man dort den Spielern offenbar nicht mehr zu, die Fertigkeiten der Spielfigur selbst zu gestalten, denn Talente werden nun automatisiert mit dem Stufenanstieg freigschaltet. Lachhaft, aber offenbar massentauglich. Für mich bedeutet dieser sinkende Anspruch einfach nur eine fehlende Herausforderung und ist damit gleichbedeutend mit einem Totalausfall des Spielspaßes.

Natürlich ist diese Entwicklung nur im Kontext des allgemeinen Umbruchs am Markt der Onlinespiele zu verstehen. Seit dem himmelhochjauchzenden Hype um die eher selbstlaufenden Browserspielchen von ->Zynga wie das Bauernhofgeklicke ->Farmville – eine Erfolgsgeschichte, die wie jede Medienblase bereits wieder geplatzt ist – schossen Spiele mit ähnlichen Konzepten aus dem Boden wie Pilze nach einem Sommerregen. Aktuell recht gute Vertreter dieser Free-to-Play-Spiele sind ->Anno Online, ->Die Siedler Online und ->My Fantastic Park. Hinter diesem Geschäftsmodell verbirgt sich der Gedanke, das Spiel zwar grundsätzlich kostenlos anzubieten, wer jedoch alle Inhalte sehen will oder Verzögerungen durch Bauzeiten und andere Beschränkungen nicht geduldig erträgt, kann sich Beschleunigungen oder besondere Spieelinhalte dazukaufen.



Ein sehr umfangreicher Vertreter der kostenlosen Online-Browserspiele ist Die Siedler Online. (Gameplay Trailer / Ubisoft via Youtube)

Dieses Geschäftsmodell ist derartig erfolgreich, dass es inflationär um sich und auf bisherige Flagschiffe wie World of Warcraft, Star Wars und Herr der Ringe Online übergreift. Die großen Publisher und Entwickler werden zunehmend vor diesem Trend hergetrieben. Die Auswirkungen auf das Genre sind daher, nicht mehr in erster Linie eine großartige Spielwelt mit faszinierenden Erlebnissen vollzustopfen, sondern die Mechanismen zu perfektionieren, um die Spieler zu Zahlungen für Zusatzinhalte zu motivieren. Und das ist in dem Modell auch dringend nötig, zahlen doch nach Daten der Gamesbranche höchstens drei bis 10 Prozent der Spieler überhaupt für irgendetwas. Bei der wachsenden Konkurrenz sind also tiefe Griffe in die Trickkiste vonnöten.

Die Gefahr für die gesamte Branche ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich so ein abwärts führender Strudel beschleunigt, der die gesamte Branche vor die Wand fährt. Dafür gibt es auch in der jungen Branche bereits mahnende Beispiele mit dem Adventuregenre zum Ende der Neunziger Jahre oder dem Kollaps des Marktes für Lernspiele wenige Jahre später. Das ist auch den Entwicklern und Publishern bewusst, so dass sich spielmechanische Komplexität, inhaltlicher Einfallsreichtum und Anspruch im freien Fall befinden. Jedes Entwicklungsrisiko wie eine lange Entwicklungszeit durch komplexe oder originelle Inhalte wird in einem solchen Markt vermieden. So werden die Spiele oft sehr unfertig auf den Markt geworfen, um zu sehen, ob der Titel von Spielern überhaupt angenommen wird. Spieler sind zunehmend Versuchskaninchen und keine Kunden mehr. Andererseits können so natürlich die Spielinhalte und die Mechanik auch auf die Wünsche der Konsumenten angepasst werden. Dennoch: auf diese Weise entsteht ein Meer aus Betaversionen, das mit spielerischer Qualität größtenteils nichts mehr gemein hat, vor allem aber keinen Wert mehr auf gute Narrative legen kann.

Wiedergeburt

Dass  ->The Secret World es als qualitativ hochwertiges MMORPG in diesem Meer bei allen diesen Begleitumständen besonders schwer hat, ist keine Überraschung. Nur werden sich diese Umstände die Wenigsten genau ansehen. Für die meisten Analysten wird sich mit diesem Spiel wohl daher erledigt haben, in narrativer Hinsicht an MMOs Neues zu erproben.

Der Grund dafür liegt – neben vordergründigen Zusammenhängen mit  ->The Secret World – in einer Branche, die Innovationen tatsächlich eher mutlos gegenüber steht. Ob ein Produkt überhaupt die Chance erhält, auf den Markt zu gelangen, ist häufig von der Markteinschätzung der wenigen großen Publisher abhängig. Deren interne Empfehlungen aber basieren wesentlich auf dem, was im Markt bereits erfolgreich ist. Visionen sind eben schlecht kalkulierbar. Publisher durchschauen offenbar aber nicht, dass sich hier ein Kreislauf immer wieder selbst befeuert. Im Klartext heißt das, ein Publisher analysiert, dass der Markt vorwiegend aus Shootern besteht, empfiehlt und produziert einen neuen Shooter, schaut sich hinterher wieder den Markt an und stellt überraschenderweise fest, dass sich im Markt durchschnittlich noch mehr Shooter befinden. Für MMORPGs gilt nichts anderes.



Totgesagte leben länger - das Adventure-Genre starb nicht in den Neunzigern, es bediente nur nicht die Interessen der Kunden, wie die Wiedergeburt zur Mitte der 2000er zeigte. (Trailer Geheimakte Tunguska / Animation Arts via Youtube)

Erfolgreiche Impulse in andere Richtungen haben es von Publisherseite da schwer. So war das Adventure-Genre tot, bis ->dtp, ->Daedalic und andere ab 2006 ein neues Feuerwerk entfachten, obwohl doch angeblich niemand mehr solche Spiele kaufen wollte. Rundenbasierte Strategiespiele starben in den Neunzigern aus und galten als anachronistische Gedenkromantik von Nerds, bis 2012 das Science-Fiction-Spektakel ->XCOM: Enemy Unknown einen veritablen Erfolg einfuhr. Weltraumsimulationen haben den Ruf, völlig unverkäuflich zu sein. Mal sehen, was Entwickler-Veteran Chris Roberts dazu zu sagen hätte, der für die Space-Sim ->Star Citizen unter anderem via ->Kickstarter über 30 Millionen Euro an Vorschüssen von begeisterten Fans einsammelte, um verschiedene Etappenziele (->Stretch Goals) bei dem Projekt zu realisieren. Man fragt sich wirklich, was Analyseabteilungen wert sind, die solche Marktlücken offenkundig so gut erkennen wie Politologen 1989 den Fall der Mauer. Was machen diese Leute denn den ganzen Tag? Es ist mir schleierhaft.

Ein weiteres Problem liegt in dem Druck der Kostenloskultur auf den Gamesmarkt. Free-to-Play bedeutet einen immensen Aufwand, Spieler, die alle Spielinhalte eigentlich kostenfrei genießen können, zum Öffnen des Portemonaies zu bewegen. Viele, selbst Riese ->Zynga, scheitern (mit ->Cityville 2) schon in wenigen Wochen. In einem solchen rein monetär innovativen Klima entstehen natürlich keine erzählerischen Höchstleistungen. Bei vielen Titeln dieser Art ist zu beobachten, dass die Rahmenhandlung auf eine Briefmarke passt. Handlungselemente hinzuzukaufen, hat sich zwar bereits bei Vollpreisspielen eingebürgert, die eine Haupthandlung haben. Solche downloadbaren Inhalte (DLCs) sind jedoch meist schnell gestrickt, oberflächlich und dürfen in keiner Weise dem Hauptspiel widersprechen. Spieler, die sie nicht erwerben, dürfen zudem nicht das Gefühl bekommen, etwas zu verpassen. Der ->From Ashes-Download von ->Mass Effect 3 war so ein delikater Fall. Dies zu vermeiden ist ein schwieriges Geschäft, in dem die Autoren es nie allen rechtmachen können. Ich habe vor Kurzem in meinem ->KOMMENTAR: Geschichten? Unbezahlbar! vom 5. Dezember 2012 die Probleme und Chancen von Storyhappen im Free-To-Play-Klima ausführlicher behandelt.



Mit seiner Produktpolitik machte sich Bioware im falle des Downloads From Ashes weltweit keine Freunde. (Mass Effect 3 Extended Trailer / Machinima via Youtube)

->The Secret World hingegen hat eine aufwändige Storyline mit zahllosen kleinen Hintergrundschnipseln, die zu produzieren ein großer Aufwand sind. Dafür hat es als MMO die Chance, kontinuierlich neue Settings und Geschichten zu ergänzen, dabei vielleicht sogar die Welt zu verändern und fortzuentwickeln. Bislang hat ->FunCom Team diese Aufgabe trotz aller Widrigkeiten gut gemeistert, denn auf allen Ebenen waren erzählstarke Inhalte für mächtige wie schwache Spieler dabei. Doch, so zu produzieren, ist im oben genannten Klima riskant. Den richtigen Ton einer Geschichte zu treffen, welche die Spielerschaft auch hören will, ist wesentlich schwieriger als neue Mützen oder Spielerfiguren feilzubieten. Deswegen machen das gerade im MMORPG-Sektor auch so wenige.

Doch ist das der falsche Weg, denn das ganze Genre stagniert. Die Spielmechaniken haben einen langen grauen Bart, neue Spielerschichten – zum Beispiel Frauen oder Senioren – werden nicht aktiv erschlossen und Spielertypen wie Erzählfreunde oder Entdecker nicht bedient. Das wird langfristig den Spielspass so sehr trüben, dass die Branche das Genre vor die Wand fährt. Irgendwann werden aber selbst Grinder und PVPler des eintönigen Breies überdrüssig. Ob das Genre im Segment der Vollpreisspiele aus einem solchen Totalschaden mittelfristig wieder reanimiert werden könnte, ist doch stark zu bezweifeln. Dafür wäre die mentale Invitionssperre bei den Publishern nach dem Crash zu groß. Im Ergebnis würden Spieler in einem Meer aus Titeln niedriger Qualität und mauem Umfang ohne narrative Elemente in Langeweile ersaufen.

Entbindung

Deswegen nehme ich die Entwicklungen um The Secret World zum Anlass für ein Plädoyer zugunsten innovativer Ansätze bei MMOs – gerade auch in erzählerischer Hinsicht. Entwickler sollten neue Settings ausprobieren, wie zum Beispiel den Dreißigjährigen Krieg mit seinen dutzenden Fraktionen; oder wie wäre es, ein Agenten-MMORPG in echten, gegenwärtigen Konfliktzonen zu platzieren. Spielern sollte etwas zum Entdecken gegeben werden, überraschende, wendungsreiche Geschichten erzählt werden. So wie ->The Secret World bewiesen hat, dass man gehaltvolle Narration durch einfallsreiche Neuerungen grundsätzlich auch im MMO-Bereich etablieren kann, gibt es sicherlich noch bisher ungedachte Wege. Zum Beispiel müssen auch Möglichkeiten existieren, kollektive Narration zu erleben, bei der mehrere Spieler zusammen einen Handlungsstrang vorantreiben.

Entwickler sollten einfach mal mit mehr Gehirnschmalz den Entwicklungsprozess schmieren, um dem Namen Creative Industry wieder voll gerecht zu werden. Die Publisher hingegen müssen ihnen endlich wieder vertrauen, denn die Entwickler sind es, die wissen, was Spiele benötigen – nicht etwa hippe Marketingabsolventen hinter Datenblättern. Dazu gehört kein Mut, sondern Aufbruchsgeist – der unbändige Drang von Pionieren, etwas Ungetanes zu leisten. Nicht die Mentalität von Totengräbern, alles zu begraben, was nicht vorher schon erfolgreich war.

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