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Gendern - Was denken FR-Leser*innen

Kommentare

Reaktionen unserer Leser*innen und Leser auf den FR-Schwerpunkt vom 5. September.
Reaktionen unserer Leser*innen und Leser auf den FR-Schwerpunkt vom 5. September. © Peter Steffen

Dietrich Meyer-Ebrecht, Aachen

Ich begrüße Ihre Initiative und unterstütze Argumente für den Gender-Doppelpunkt. Besonders Unterstrich, Schrägstrich und Sternchen waren typographisch ungeeignet, Stolperstellen im Lesefluss. Aus Sicht ihrer Verfechter beabsichtigt zwar, aber kontraproduktiv für eine breite Akzeptanz als Regelschreibweise. Und die weibliche Form blieb doch immer ein buchstäbliches Anhängsel. Der Doppelpunkt ist ein Fortschritt: Der Lesefluss gewinnt, und die weibliche Form ist typographisch strenger gekoppelt.

Cornelia Hartlaub-Klein, Frankfurt

Herr Kaspar stellt fest: „Sprache trifft soziale Unterscheidung. Weil wir unterschiedliche Sprachen sprechen, schließen wir andere aus. Je komplizierter die Regeln sind, desto höher sind die Hürden zur Integration in eine Kultur.“ Richtig! Er bezieht das allerdings auf die Rechtschreibreform von 1996. Eine „gegenderte“ Sprache (schon dies eine sprachliche Entgleisung) verkehrt die gute Absicht allerdings in ihr Gegenteil. Sie kompliziert die Regeln noch mehr und macht die Hürden zur Integration höher. Statt mehr Gleichheit und Inklusion zu erreichen, entfernt sich die Sprache der akademischen „Bildungselite“ immer weiter von der Sprache der restlichen Bevölkerung und verschärft die sozialen Spannungen. Und gibt sich, indem sie sich als „gerecht“ bezeichnet, auch noch den Anschein der moralischen Überlegenheit. Besonders deutlich wird das in dem Artikel von Frau Dalka. Sie verweist auf die Standards der Universitäten und fordert, endlich konsequent zu gendern, und ihr ist die Zeit zu schade, noch darüber zu diskutieren mit den Damen und Herren, die wissenschaftliche Studien ignorieren, die weder elegant noch spielerisch formulieren können, die so tun, als stünde die Welt seit Jahrzehnten still. Ja, da vergeht die Lust zum Diskutieren.

Ernst, Reichenbach, Frankfurt

Liebe Redakt*, Autor* und Mitarbeit*, das sieht vielleicht ein bisschen komisch aus, ist aber die korrekte Übertragung des Sternchens aus Programmiersprachen in die allgemeine Sprache (bzw. Schrift). In Programmiersprachen kennzeichnet z. B. *.doc sämtliche Doc-Datensätze. Wenn man analog dazu in der Normalsprache den Wortstamm mit dem * versieht, hat man gesinnungsethisch perfekt gegendert, weil das Sternchen in dieser Logik ja auch für alle LGBTQIA steht. Zwei weitere Vorteile gibt es bei dieser Anwendung auch noch: 1. Man/frau spart richtig Platz, und 2. steht das Sternchen dann ja auch für alle Flexionen des Wortstammes; damit verschwinden etwaige Grammatikfehler, was mich beim Lesen der FR viel mehr stört als :_/-* im Text. Alle anderen Erwägungen der seit Jahren wogenden Diskussion über das Für und Wider haben Sie sehr schön dargestellt. Gratulation zu der Meinungsvielfalt! Ich persönlich halte allerdings die positiven gesellschaftspolitischen Hoffnungen und Projektionen, die die Befürwort* hegen, für eher übertrieben. Aber bevor ich mich darüber aufrege, ist es mir lieber egal. WICHTIG IST (HOFFENTLICH!), WAS SIE SCHREIBEN – UND NICHT WIE!

Cirsten Kraft, Bremen

Meiner Meinung nach ist die Diskussion über Sternchen, Doppelpunkte etc. völliger Quatsch! Ein Nebenschauplatz, der nichts mit dem wahren Leben zu tun hat. Wo sind sie denn, die Chefärztinnen, Professorinnen, Topmanagerinnen, Regisseurinnen usw.? Ja, es gibt welche, mehr als vor 60 Jahren, als ich geboren wurde. Der Anteil ist aber noch sehr weit von 50 % entfernt. Wo sind denn die Väter, die sich zu gleichen Teilen mit den Müttern um Kinder kümmern, nicht nur zwei Monate Elternzeit nehmen und nach der Trennung nicht nur Wochenendväter sind? Die Mehrheit lebt ganz klassisch mit Vater in Vollzeit (Mutter bestenfalls Teilzeit). In einigen Berufen brauchen wir gar kein Genderzeichen: Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen; die paar Männer fallen nicht ins Gewicht. Gleichberechtigung in Deutschland haben wir nicht.

Daran ändern das Lesen mühsamer machende Zeichen nichts. Bei Studierenden und Demonstrierenden und ähnlichen Wortungetümen kräuseln sich mir die Fußnägel. Ich kann damit leben, Arbeitnehmer oder Kunde genannt zu werden. Mir ist es wichtig, dass sich gesellschaftliche Zustände ändern, danach können gerne spätere Generationen an unwichtigen Äußerlichkeiten basteln.

Christa Erichson, Oberursel

Ich war als Wissenschaftlerin in der Lehrerbildung tätig. In den Seminaren versammelten sich bis zu 200 Studierende, gefühlt 98 % weiblich. Damals begann die Debatte um gendergerechten Sprachgebrauch. Ich beschloss, das Auditorium in weiblicher Form anzusprechen: „Guten Morgen, liebe Studentinnen.“ Wie aus der Pistole geschossen drang aus den Tiefen der Zuhörerschaft eine männliche Stimme: „Ich bin auch noch da!“ Wirkungsvoller hätte die Berechtigung des Genderns nicht bestätigt werden können.

Werner Niedermeier, Karlsfeld

Gendern diskriminiert. Zum Beispiel Menschen, die auf ein Sprachausgabeprogramm angewiesen sind. Hören Sie sich einmal einen gegenderten Text mit einem Vorleseprogramm an, dann verstehen Sie, was ich meine. Es werden aber auch Menschen mit Schreib-Lese-Schwäche diskriminiert. Diese Menschen haben schon genug Probleme, korrektes Deutsch zu verstehen. Bei dieser Kunstsprache, die nicht einmal einheitlich ist, schalten sie dann ab. Oder Ausländer, die die nicht gerade leichte Sprache Deutsch lernen: Wie sollen diese Menschen verstehen, dass jemand aus ideologischen Gründen die Sprache noch unverständlicher macht?

Gabriele Isele, Hamburg

Im Deutschen wird leider keine der sprachlichen Varianten der Tatsache gerecht, dass es sich ganz allgemein um Menschen handelt. Daher wird der Unterscheidung immer mehr Raum gegeben, dass ich mich manchmal frage, wieso in einem bestimmten Kontext plötzlich mein biologisches Geschlecht eine Rolle spielt und ob ich hier nicht schon wieder diskriminiert werde, indem betont wird, dass ich eine Frau bin. Robert Gernhard hat in den 90er Jahren in mehreren Aufsätzen zum „Lieblingsplural“ auf humorvolle Weise über Sinn und Unsinn verschiedener Erscheinungsformen des Genderns nachgedacht, z. B. wartete er sehnsüchtig auf eine Zeitungsmeldung über „PlündererInnen“ oder „EntführerInnen“ und staunte über die bemühte Beflissenheit, die sich in Anreden wie „Liebe Mitglieder und Mitgliederinnen“ zeigt. Liebe FR, behalten Sie die Vielfalt von Schreibweisen bei und verengen Sie sie nicht auf den Doppelpunkt.

Stefanie Sohn, Gönnheim

Unsere Tochter (damals 16) berichtete von Freunden, die sich weder weiblich noch männlich fühlen. Von Liebe, die nur das Innere des Menschen sieht und sich nicht am Geschlecht orientiert.
Es fielen Begriffe wie pansexuell, drittes Geschlecht, Liebe und Identität, gendern. Ich verstand nur Bahnhof. Hinüber mein Urvertrauen in mein Wissen. Homosexualität? Kein Problem. Aber was ist pan? Erste zaghafte Zweifel, dass es nicht ausreicht, sich emanzipiert zu fühlen, sondern es aktiv sein zu müssen. Aber nein, ich habe alles im Griff und kämpfe im Kleinen immer für die Emanzipation der Frau; alles gut so, wie es ist. Kurz vor einer handfesten Familienkrise und nach dem Abstreifen der eigenen inneren, heftigen Abwehr die Erkenntnis, welche Macht Sprache hat und was sie beim Gegenüber bewirkt. Neue Zweifel: gendern – affig, übertrieben, funktioniert nie, die männliche Form für alles nicht so schlimm. Außerdem soll es doch einfach sein. Immer doppelt formulieren ist umständlich. Tochter und mittlerweile auch Sohn widersprachen vehement. So funktioniere das nicht, diese Ausreden seien faul. Es sei ganz einfach, kleine Pausen z. B. in Schüler*innen einzubauen. Bewusst das weibliche Geschlecht neben dem des Mannes zu verwenden sei wirklich nicht schwer. Warum machst Du Dich selbst männlich, Mama? Okay, 1:0 für meine Kinder. Sie haben recht: wirklich Zeit, etwas zu verändern!

Marlene Grau, Frankfurt

Sehr geehrter Herr Kaspar, wie freue ich mich über Ihren Vorschlag zum Gendern in der FR! Ich habe jahrelang die Publikationen einer öffentlichen Einrichtung redaktionell betreut. Immer habe ich mich gegruselt vor öden Formulierungen wie „Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Eine gangbare Lösung mittels grafischer Möglichkeiten sah ich nicht. Das Binnen-I wirkt wie ein Satzfehler und stört den Lesefluss, das Gendersternchen * ist, wie der Name schon sagt, verniedlichend, der Gender_Gap greift in das Wortbild brutal ein und wirkt eher polarisierend. Und dann sah ich vor ein paar Monaten den Doppelpunkt: Er erweckt Aufmerksamkeit, kündigt etwas Wichtiges an und ist elegant. Und vielleicht auch gerecht: ein Punkt für das männliche und ein Punkt für das weibliche Geschlecht. Ich stimme voll zu und freue mich, wenn die FR dieses schöne Satzzeichen künftig beim Gendern verwendet. Es wird hoffentlich Signalwirkung für andere Zeitungen haben und ein weiterer Schritt zu mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft sein.

Barbara Orth., Kaufungen

Es gruselt mich jedes Mal, wenn ich auf ein sogenanntes Gender-Sternchen stoße. Auch wenn die Anzahl der Sternchen im Text
gering sein mag, so zieht der Ärger darüber sich über die nächsten Zeilen hin, ähnlich wie die nervtötende Musiksoße über ansonsten gut gemachte Dokumentationen im Fernsehen. Beides breche ich deshalb nicht selten ab. Für mich ist die weibliche Form im männlichen Plural enthalten, ebenso sind es die sich nicht als männlich oder weiblich definierenden Menschen. Ja, man kann es umdrehen, was aber ähnliche Erheiterung hervorruft, wie Männerballett in Frauenkleidern. Die Diskussion ist wichtig, weil es das Bewusstsein ändert. Schon vor Jahrzehnten wurde deshalb z. B. der Personalausweis zu Recht geändert. Da ging es aber um die Singularform von Inhaber oder Inhaberin. Seien wir froh, dass unsere Sprache so reichhaltig ist. Da die deutsche Grammatik für Fremdsprachige schon kompliziert genug ist, muss man dies nicht mit deplatzierten Satzzeichen verstärken.

Kerstin Engel, DInslaken

Brauchen wir geschlechtergerechte Sprache? Aber sicher! Sprache schafft Realität. Mit Sprache drücken wir aus, was wir meinen. Wenn ich einen Text lese, der in der verallgemeinerten männlichen Form verfasst ist, dann fühle ich mich als Frau weder gemeint noch angesprochen. Meines Erachtens wird im politischen und gesellschaftlichen Kontext deutlich, dass Frauen in einigen politischen Parteien in eklatantem Ausmaß unterrepräsentiert sind und dass das bei den Parteien weniger der Fall ist, in denen eine geschlechtergerechte Sprache genutzt und gefördert wird. Ob die von mir bevorzugte Variante des Ausschreibens beider Formen von den Autorinnen und Autoren gewählt wird, oder ob es der Doppelpunkt schafft, spielt für mich nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist, dass es passiert!

Sandra Kroemer, Wiesbaden

Sprache erweckt Vorstellungen, Bilder im Gehirn. Ich frage immer wieder Menschen danach, welche Bilder beim Lesen entstehen, z. B. wenn von „Fachärzten“ gesprochen wird. Das Problem dabei ist, dass sich die meisten Menschen dann Männer vorstellen. Und das passiert auch bei denen, die in ihrem Umfeld ausschließlich Ärztinnen erleben. Sie halten es dann – oft unbewusst – für eine Ausnahme, dass es bei ihnen so ist, weil die „Fachwelt“ ja eigentlich aus Männern besteht. Und die Medizin ist nur ein Beispiel dafür. In meinem beruflichen Bereich (Lehren der deutschen Sprache) sitzen oft in Fortbildungen 100 % Frauen, und die Trainerin spricht von Lehrern und Teilnehmern. Komisch, oder? Solange unser Denken, unsere Vorstellung bei diesem Thema nicht frei wird, bleibt die Fachwelt männlich, selbst wenn man immer wieder Frauen darin erlebt. Für mich ist deshalb ein Gendern der Sprache unglaublich wichtig.

Ernst Neubronner, Bad Homburg

Ich kann mich mit dem Vorschlag, künftig als Mittel der gendergerechten Sprache einen Doppelpunkt im Wortinnern zu verwenden, nicht anfreunden. Mich würde das ebenso stören wie Sternchen oder andere Unterbrechungen des jeweiligen Wortes. Bekanntlich erfasst der Mensch beim Lesen mit den Augen vollständige Wörter, die er am Schriftbild erkennt, so dass er im Gegensatz zum frühkindlichen Lesen zum Verständnis kein Buchstabieren benötigt. Wird dieses vertraute und im Gehirn abgespeicherte Schriftbild jedoch durch ein fremdes Zeichen unterbrochen, kommt es zu einem Störgefühl, das den Lesefluss hemmt. Man kann beispielsweise Personal oder Belegschaft anstatt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Lehrkörper statt Lehrerinnen und Lehrer schreiben. Und wo es keinen geeigneten Sammelbegriff für Männlein und Weiblein gibt, schreibt man eben beide Geschlechter aus. So viel Platz muss sein.

Zur Debatte

Das Thema „Wie gendern?“ (FR vom 5./6. September) stößt bei Ihnen, liebe Leser:innen und Schreiber:innen, weiter auf großes Interesse. Das freut uns sehr, beweist es doch seine gesellschaftliche Relevanz. Die vielen Zuschriften, rekordverdächtig für das FR-Forum, bilden ein außergewöhnlich breites Spektrum der Debatte ab. Wie bei Briefen mit anderem Bezug erreichten die Redaktion mehr Stellungnahmen von Männern als von Frauen, nahezu im Verhältnis zwei zu eins.

Wie, nicht ob: Im Grundsatz sind sich alle einig, dass Geschlechtergerechtigkeit und gewandelte Rollenbilder ihren schriftsprachlichen Ausdruck in der FR finden sollen. Kaum jemand fordert, die FR möge mit dem generischen Maskulinum weiter nur männliche Sprachformen verwenden, wenn auch Frauen gemeint sind. Es ist das vertrackte „Wie“, das Sie – wie unsere Redaktion – beschäftigt. Etliche Stimmen diskutieren Alternativen zu unseren Vorschlägen; Sie finden eine Auswahl auf dieser Doppelseite.

Unsere Initiative kommt bei Ihnen überwiegend gut an. Drei von vier Frauen reagieren und kommentieren eher positiv – und zwei von drei Männern. Nur wenige Einsendungen sind radikal skeptisch. Sie urteilen teils grundsätzlich und nennen meist grammatikalische und sprachästhetische Motive. Auch solche Beiträge finden Sie hier.

Ihre Meinung interessiert uns weiterhin. Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften per Mail an die Adresse briefe@fr.de

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