Ostukraine:Kiews Kalkül

German Chancellor Merkel and Ukraine's President Poroshenko address a news conference in Berlin

Unterstützend, aber kritisch: Angela Merkel und Petro Poroschenko.

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Die Spannungen im Konflikt mit Russland nehmen wieder zu. Berlin beobachtet mit Sorge das Agieren im Donbass.

Von Stefan Braun, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ukrainische Präsident Petro Poroschenko haben am Montag die enger werdenden wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern gelobt und sich zugleich sehr besorgt über die jüngsten Berichte aus der Ostukraine gezeigt. Merkel lobte, dass der Handel zwischen Deutschland und der Ukraine wachse; zuletzt sei er um fast 20 Prozent gestiegen. Mit Blick auf die Spannungen im Donbass im Osten des Landes sagte sie, die Lage an der sogenannten Kontaktlinie zwischen ukrainischen Truppen und Milizen der pro-russischen Separatisten sei "besorgniserregend". Umso wichtiger sei es, auf Basis des Minsker Abkommens bald voranzukommen, und sei es noch so mühsam, so Merkel.

Poroschenko bedankte sich für die deutsche Unterstützung und warf Moskau erneut einen hybriden Krieg gegen sein Land vor. Der ukrainische Präsident sagte, auch am Sonntag und Montag seien im Konflikt mit den pro-russischen Separatisten wieder ukrainische Soldaten gestorben. Sollte es also bei den Bemühungen um eine Beilegung des Konflikts nicht vorangehen, müssten die Sanktionen gegen Russland nicht nur verlängert, sondern weiter verschärft werden.

Die Sicht auf den Konflikt hat sich damit weder in Kiew noch in Berlin grundsätzlich verändert. Kiew fordert seit Langem eine harschere Gangart gegenüber Moskau. Und Merkel zeigt sich weitgehend solidarisch. Zuletzt hatte auch der bisherige Außenminister Frank-Walter Steinmeier noch einmal hervorgehoben, dass die Verantwortung für die Krise in Moskau und bei den Separatisten liege. Gleichzeitig aber nimmt man in der Bundesregierung sehr genau und mit wachsender Sorge wahr, dass sich die Lage an der sogenannten Kontaktlinie nicht nur wieder verschärft hat, sondern dass daran in verstärktem Maße auch die ukrainische Seite Schuld trägt. Die Spannungen nehmen zu; zuletzt waren am Wochenende vier ukrainische Soldaten bei Feuergefechten ums Leben gekommen.

Nach Berliner Informationen, die sich unter anderem auf Berichte der OSZE-Mission in der Ostukraine stützen, versuchen derzeit vor allem ukrainische Militärs, den Frontverlauf zu ihren Gunsten zu verschieben. Offenbar nehmen sie dabei auch in Kauf, dass sich die Spannungen erhöhen, heißt es in Berliner Regierungskreisen. Dahinter, so vermutet es mancher in der deutschen Administration, könnte auch das Kalkül stecken, die Lage so zu verschärfen, dass Pläne von US-Präsident Donald Trump zur Lockerung der Sanktionen noch gestoppt werden könnten. Nach Berliner Lesart will Poroschenko so ziemlich alles versuchen, um ein Ende der Sanktionen gegen Russland zu verhindern.

In der Bundesregierung wächst freilich die Sorge, dass Kiews Kalkül kontraproduktiv sein könnte. So könnte Trump die Sanktionen unabhängig von der Lage an der Kontaktlinie lockern. Und dann hätte Kiew doppelt den Schaden: eine Lageverbesserung für Russland bei gleichzeitiger Verschärfung des Konflikts in der Ostukraine. Ob es gelingt, Kiew angesichts dessen von seinen eigenen Provokationen abzubringen, traut sich in Berlin niemand vorherzusagen.

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