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Neue Details aus dem Horrorhaus "Die Brüste blutig gebissen: 180 Mal"

Bei seinen Gewaltexzessen schaukelte sich das Horrorpaar von Höxter in seiner sadistischen Wahnwelt immer höher. Kommende Woche beginnt der Mordprozess.

Als Angelika den Mann kennenlernt, ist sie 29 Jahre alt, lebt bei ihrer Mutter auf dem Hof und hat noch nie jemanden getroffen, der mit ihr eine Beziehung will.

Es ist der 17. Januar 1999 und Liebe auf den ersten Blick. Händchen haltend laufen sie durch Detmold, wo Wilfried lebt, küssen sich schon am selben Tag. Angelika fährt nun immer gleich nach der Arbeit in der Gärtnerei zu ihm. Angelika und Wilfried W., die beiden gibt es von nun an nur noch zusammen. Und bald gibt es für Angelika nur noch Wilfried. Sie heiraten, später trifft sie nicht einmal mehr ihre Mutter, Wilfried besteht darauf.

Die Beziehung entwickelt sich fatal. Die Amour fou, die leidenschaftliche, verrückte Liebe, entgleitet in eine Folie à deux, eine gemeinsame psychotische Störung.

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Das ist das Horrorhaus von Höxter

01:15 min

17 Jahre unsagbare Folter

Es beginnt fast unmerklich. Damit, dass Wilfried W. fragt: Willst du heute Nudeln oder Kartoffeln kochen? Dass Angelika antwortet: Nudeln. Und Wilfried stundenlang darüber diskutieren will, dass ihm ihre Entscheidung nicht passt. Es bildet sich ein Muster in diesen Diskussionen, Wilfried sagt an einem Punkt "Ich werde wieder nervös", zuckt mit den Augen, beginnt seine Frau zu schubsen und zu schlagen, so schildert es Angelika W. heute.

Es endet 17 Jahre später. 17 Jahre, in denen die Gewalt mindestens zwei Menschen das Leben gekostet und viele unsagbarer Folter ausgesetzt haben soll.

Es ist der 21. April 2016, gegen 23 Uhr, als der Horror ein Ende findet. Angelika W., dunkel gekleidet, korpulent, Pottschnitt, klingelt in einem Haus an der B 64. Sie habe eine Autopanne, sagt sie, ob man ihr ein Taxi holen könne. Im Hintergrund steht eine gebückte Gestalt, in eine Decke gehüllt. Später kommt auch noch ein Rettungswagen, Angelika W. hat ihn gerufen.

Gegen Mitternacht trifft der Wagen in der Helios Klinik Northeim ein. Die Notärztin hat die Patientin, Susanne F., bereits mit Verdacht auf Blutvergiftung angekündigt, sie hat viele unbehandelte Verletzungen am Körper bemerkt, bereits nekrotisch, Heilung unmöglich. Die Zehennägel haben sich zum Teil gelöst. Und zudem: Schnitte, Blutergüsse, Fesselspuren. Der Kopf kahl geschoren. Am Steißbein: Liegefäulnis, die Frau muss wochenlang in derselben Stellung gelegen haben. Die Ärzte versuchen sie zu reanimieren, vergebens.

Kurz darauf findet man im Haus von Angelika und Wilfried W. Susanne F.s Abschiedsbrief, zunächst datiert auf den 21. April, den Tag der Autopanne. "Es tut mir leid, mein süßer Schatz! Ich kann nicht mehr! Bevor ich ins Gefängnis gehe, beende ich lieber mein Leben! Ich liebe Dich, Susi."

Hunderte solcher Zettel, auf denen das Paar Frauen unterschreiben ließ, sie hätten sich ihre Verletzungen selbst zugefügt, finden die Ermittler in dem heruntergekommenen Haus im Saatweg Höxter-Bosseborn. Die Bilder dieses Hauses werden zum Symbol für einen der schrecklichsten Kriminalfälle der Bundesrepublik. Kommenden Mittwoch beginnt in Paderborn der Prozess, in dem geklärt werden muss, was sich hinter der Fassade zugetragen hat. Mindestens vier Frauen wurden hier gequält, zahlreiche andere um Geld gebracht. Und neben Susanne F. gab es noch mindestens eine andere Frau, Anika W., die nach wochenlangen Torturen starb. Die Staatsanwaltschaft hat Wilfried W. und seine Exfrau Angelika W. wegen Mordes durch Unterlassen angeklagt. Zusätzlich wirft sie Angelika W. versuchten Mord und Körperverletzung in fünf Fällen vor, Wilfried W. außerdem Körperverletzung in 30 Fällen. Erst vor drei Wochen meldete sich eine weitere Frau, die angibt, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Angelika und Wilfried W. droht lebenslange Haft.

Horrorhaus in Höxter: Sie redet, er schweigt

Was ist das für ein Paar, das solch monströse Taten begeht? Wie driftet eine Liebesbeziehung ab zu einer sadistischen Komplizenschaft? War es Wilfried, der Angelika manipulierte? Entwickelte Angelika eine unterwürfige Abhängigkeit, die, gespeist von ständiger Angst vor Wilfried, seine Folterfantasien in vorauseilendem Gehorsam umsetzte, wie sie selbst heute erklärt?

Während Angelika W. redet, sich damit selbst belastet, liefert Wilfried W. keine Erklärungen. In der ersten Vernehmung bestritt er alle Vorwürfe, seitdem schweigt er. Aus Angelika W.s Aussagen und denen von Opfern lässt sich ein verstörender Blick in das Haus im Saatweg gewinnen, er offenbart ein Beziehungsgeflecht aus Macht und Ohnmacht, alltäglicher Erniedrigung und immer hemmungsloserer Gewalt.

Eine Frau, die dem Paar entkam, berichtet, dass Angelika und Wilfried W. sich zu immer grausameren Exzessen hochschaukelten. Hätten die beiden gestritten, sei sie die Leidtragende gewesen. Wilfried habe ihr dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen, Angelika W. sie mit Pfefferspray attackiert. Sie wurde eingesperrt, durfte nur das Katzenklo benutzen, wurde halb nackt im Schweinestall angekettet.

Auch Anika W., die erste Frau, die die Torturen nicht überlebt, wird angekettet, weil Wilfried W. sich gestört fühlt, wenn sie nachts zur Toilette muss. Ärgert ihn das Rasseln der Ketten, geht Angelika zu Anika und schlägt, beleidigt, verbrennt, würgt sie. Ihre letzten Lebenswochen fristet Anika W. nachts in einer Badewanne im Keller, bäuchlings, Hände und Füße hinterm Rücken gefesselt. So stark, dass die Wunden bluten und nässen, dass sie nicht mehr laufen kann, dass ihr der Tod eine Erlösung erscheint und sie versucht, den Strick selbst zuzuziehen, den ihr Angelika W. einmal um den Hals legt. Noch einmal versucht sie zu fliehen, auf allen vieren kriechend, Angelika W. behauptet, sie sei gestürzt, als sie versucht habe zu gehen. Regelrecht gekracht habe es, als der Kopf ungebremst auf den Boden im Hof aufschlug. Angelika W. war es, die Anikas Leiche zunächst in die Tiefkühltruhe steckte, später zersägte und im Ofen Stück für Stück verbrannte, die Knochenreste und Zähne in der Asche noch mit einem Hammer zerschlug.

Die Wahnwelt von Wilfried und Angelika W.

Angelika W. erzählt den Ermittlern, dass Wilfried W. schnell unzufrieden mit den Frauen gewesen sei. Er schubste sie, dass sie zu Boden gingen. Verdrehte ihre Finger so stark, dass sie sich sofort hinknien mussten. Und wenn die Frauen vor Schmerzen aufschrien und Wilfried deshalb nur noch wütender wurde, dann habe sich Angelika W. aufgefordert gefühlt, auch zu schlagen, zu treten, mit Gürteln zu würgen, bis sie keine Luft bekamen. Um keinen Ärger mit Wilfried zu haben, sagt sie heute. Er habe sie nie explizit aufgefordert: "Fessel sie", "schlag sie". Er habe immer nur gesagt: "Geh hoch und mach was." Oder: "Jetzt macht die da oben wieder Theater." Für Angelika W. das Signal.

Wilfried und Angelika W. lebten in einer Wahnwelt. In so einer Folie à deux tritt bei Täterpaaren eine gemeinsame psychische Störung auf, weil der Haupttäter einen Wahnzustand auf den anderen überträgt, sagt der Essener Psychotherapeut Christian Lüdke. Als größtes Risiko, in eine Folie à deux abzurutschen, gelte die Isolation des Paares. Bei Frauen wie Angelika W. sei die Angst vor Einsamkeit wohl größer als die Angst vor Gewalt. Bald habe sie sich mit den Taten identifiziert, mitgemacht, auch weil sie dann Macht empfand und nicht mehr nur das Opfer war. Die Gewalt verbindet das Paar, gibt ihm ein Gefühl der Allmacht.

Alter und Aussehen der Frauen, die die beiden auswählten, waren egal, erklärt Angelika W. Vor allem sollten sie wenig soziale Kontakte haben, schnell einziehen, abhängig werden. Sie kamen ins Haus nach Höxter, gelockt von Annoncen, die einsamen Frauen Liebesglück versprachen. Annoncen wie: "Fischmann, 45 J., 1,86, humorvoll, häuslich, sucht umzugswillige SIE für gemeinsame Zukunft", auf die Susanne F. voller Hoffnung geantwortet hatte. Es müssen viele Frauen gewesen sein, die Wilfried in seinen Bann zog. Auf einem Fotoapparat fanden sich Bilder von rund zehn weiteren Frauen, alte wie junge, bekleidet oder nackt, die selbst Angelika W. nicht identifizieren konnte.

Gewaltfantasien früh ausgelebt

Es ist eine schwer zu verstehende manipulative Kraft, die von Wilfried W. ausgegangen sein muss. Einige Frauen sprachen schon nach ein paar Telefonaten von der großen Liebe. Susanne F. nannte Wilfried ihren "Schatz", ohne ihn zuvor getroffen zu haben. Und die Frauen gaben diesen Traum auch dann nicht auf, wenn Angelika W. bei ihnen anrief, sich als Schwester von Wilfried ausgab, die Frauen ermahnte, ihm niemals zu widersprechen und ihn niemals zu reizen. Einige schickten Wilfried W. Geld, eine Kirsten zum Beispiel insgesamt 55 000 Euro, zuletzt eine Mary 3500 Euro. Andere zogen in blinder Liebe nach Höxter, lebten in den vermüllten Zimmern des Hauses, von dessen feuchten Wänden die Tapete fiel.

Bereits Mitte der 90er Jahre hatte Wilfried W. seine Gewaltfantasien ausgelebt. Der Sonderschüler hat früh erfahren, wie sich Ohnmacht anfühlt, der Vater soff, schlug, malträtierte die Familie. Es ist, als wolle Wilfried W. nun selbst diese Macht erfahren, die der Vater über ihn hatte. Verstörend liest sich ein Urteil des Amtsgerichts Paderborn von 1995. Wilfried W. verbrennt seiner damaligen Frau die Haut mit einem Bügeleisen, fesselt sie an die Heizung, stößt ihr unter Anfeuerung einer Exfreundin einen Gummiknüppel in die Scheide. Es ist ein Katalog der Grausamkeiten, der das Gericht vor 21 Jahren zu dem Schluss kommen lässt: "Seine Handlungen waren gezielt darauf gerichtet, die Zeugin zu demütigen und ihm unterwürfig zu machen. Er hat sie geradezu sklavenartig gehalten und missbraucht. Gefühlsäußerungen wie Mitleid scheinen diesem Angeklagten fremd."

Die Grenze wird er schon bald erneut überschreiten. Es ist noch vor ihrer Hochzeit, erzählt Angelika W. heute, als er ihr brutal die Arme verdreht und sie zu Boden wirft. Die Schmerzen sind groß, doch Angelika glaubt an ein Spiel. Schon bald aber gibt es Pferdeküsse, bis ihre Oberschenkel von blauen Flecken übersät sind. Sie wehrt sich anfangs, doch muss schnell spüren, dass sie ihn damit nur noch wütender macht. Sie erträgt die Gewalt, redet sich ein: Irgendwie komme ich schon durch.

Angelika W. hat ihrem Anwalt Peter Wüller eine handschriftliche Liste übergeben: "Häufigkeit der Übergriffe von Wilfried auf Angelika in über 17 Jahren". Ein Katalog von Grausamkeiten, die er ihr zugefügt haben soll. Angeschrien, beleidigt: täglich. An den Haaren gerissen: ca. 500 Mal. Gewürgt: ca. 250 Mal. Verbrüht: ca. 50 Mal. Arm umgedreht: ca. 300 Mal. Treppe heruntergeschmissen: ca. 15 Mal. Die Brüste blutig gebissen (er nannte es "Titten beißen"): ca. 180 Mal. Decke über ihren Kopf gezogen, sich auf sie gelegt, bis sie bewusstlos wurde (er nannte es "Decken-Alte"): ca. 250 Mal. Mit Stab in den Rachen gestoßen: ca. 15 Mal. Haare abrasiert: 2 Mal. Augenbrauen abrasiert: ca. 10 Mal. Durchs Zimmer gestoßen und geschubst: ca. 4000 Mal. Mit Bunsenbrenner verbrannt: ca. 8 Mal. Gabel in Oberschenkel gerammt: 1 Mal. Zahn ausgeschlagen: 3 Mal. Die Liste hat rund 70 Punkte. Und doch blieb Angelika W. bei ihrem Peiniger, suchte die Schuld bei sich: "Hätte ich mit ihm richtig gesprochen, keine Fehler gemacht, beim Sprechen ihn immer angesehen, dann wäre nichts passiert."

Nur wenn andere Frauen im Haus sind, hat sie Ruhe, genießt die Schonzeit, die abrupt enden kann. Als Susanne F. einmal eine Woche weg ist, erinnert sich Angelika W., geht er gleich wieder auf sie los, "Titten beißen".

Als er das erste Mal Angelika W. gegenübersaß, sagt Anwalt Wüller, habe er eine "eiskalte, verwahrloste Frau mit völlig verhärtetem Gesichtsausdruck" vor sich gehabt. Sie habe sich in der Haft verändert, sei weicher und offener geworden, achte auch mehr auf ihr Äußeres. Es klinge absurd, sagt er, doch in der JVA erlebe sie eine völlig neue Sicherheit, weil sie nicht mehr unter permanenter Angst vor Wilfried W. leide und dem Druck, ihm zu gefallen.

Doch Wilfried W., sagt sie, den liebe sie noch immer.

Übernommen aus dem aktuellen stern

Mehr zum Thema im stern Nr. 43/2016:

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