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Corona-Forschung in München: Greift das Virus das Gehirn an? Chef-Pathologe verfolgt Spur

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An der München Klinik wird am neuartigen Coronavirus geforscht (Symbolbild).
An der München Klinik wird am neuartigen Coronavirus geforscht (Symbolbild). © picture alliance/dpa / Fabian Sommer

Obduktions-Ergebnisse in München liefern Hinweise darauf, dass das Coronavirus zu Nervenschäden im Gehirn führt.

München – Nach Lunge, Blutgefäßen und Nieren rückt jetzt auch das Gehirn immer mehr in den Fokus der Corona-Forschung: Einen wichtigen Beitrag dazu liefert nun ein Pathologenteam der München Kliniken in Neuperlach und Harlaching unter der Leitung von Privatdozent Dr. Marcus Kremer. In einem online veröffentlichten Beitrag im renommierten Fachblatt „The Lancet“ berichten sie über Nervenschäden, die sie im Gehirn verstorbener Corona*-Patienten mit schwerem Verlauf nachweisen konnten.

Corona-Forschung in München: Erhöhtes Embolie-Risiko bei Corona-Patienten

Die Daten beruhen auf Obduktionen von sechs Patienten – „eine kleine Stichprobe, die auf keinen Fall repräsentativ für alle Patienten steht“, betont Kremer. Bei den Verstorbenen handelt es sich um vier Männer und zwei Frauen im Alter von 58 bis 82 Jahren, die im April in der München Klinik obduziert worden waren. Sie alle waren vor ihrem Tod so schwer erkrankt, dass sie beatmet wurden oder ihr Blut sogar per „extrakorporaler Membranoxygenierung“ mit Sauerstoff angereichert werden musste. Drei der Verstorbenen waren jünger als 65 Jahre.

Da zwei dieser jüngeren Corona-Patienten in Folge einer massiven Hirnblutung verstorben waren, nahmen die Pathologen dabei besonders die Gehirne der Verstorbenen unter die Lupe, wie Experte Kremer auf Nachfrage unserer Zeitung verriet. 

Der Hintergrund: Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass Corona-Patienten ein erhöhtes Risiko für Embolien, also für Gefäßverschlüsse, haben – weil das Blut bei ihnen eher zum Verklumpen neige, wie Kremer erklärt. Zu diesen Befunden schienen die beobachteten Hirnblutungen aber nicht zu passen. Die Pathologen wollten daher die Ursache dafür herausfinden.

München Klinik mit Corona-Forschung: Parallelen zu SARS entdeckt

Dazu kam die klinische Beobachtung, dass von Covid-19* Genesene nach einem schweren Verlauf oft sehr lange brauchen, ehe sie wieder richtig auf die Beine kommen. Neurologen vermuteten bereits länger, dass dies womöglich darauf zurückzuführen ist, dass das Virus auch das Gehirn angreifen kann – so wie das bereits von einigen anderen Viren bekannt ist, darunter Sars-CoV-1, der Erreger der Lungenkrankheit SARS.

Die Stichprobe der Münchner Pathologen liefert nun erste, sehr wichtige Hinweise, dass dies auch für Sars-CoV-2 gelten könnte. So stellten sie bei allen sechs Obduzierten eine Entzündung des Gehirns und der Gehirnhaut fest. „Die Gehirnentzündung ist nicht fulminant – aber sie ist da, im ganzen Gehirn“, sagt Kremer.

Münchner Chef-Pathologe zu Corona-Erkenntnissen: „Erst der Startpunkt“

Um dem genauer auf den Grund zu gehen, untersuchten die Pathologen die Gehirne daher auf zellulärer Ebene, insbesondere auch den Hirnstamm, in dem sich das Atemzentrum befindet. „Wir haben dabei gesehen, dass dort einzelne Nerven degenerieren, sich also zurückziehen“, erklärt Kremer. „Die Nervenkerne werden in diesem Bereich kleiner, Zellen sterben ab.“

Diese Nervenschäden lassen sich dabei offenbar nicht auf eine Sauerstoff-Unterversorgung der Patienten zurückführen. Unklar bleibt aber, ob es das Virus selbst bis ins Gehirn schafft – etwa über den Riechnerv – und dort direkt Schäden an den Nervenzellen anrichtet; oder ob es sich um einen indirekten Effekt handelt, also etwa aufgrund einer Immunreaktion des Körpers auf die Virusinfektion. 

Ein direkter Nachweis von Viruspartikeln im Gehirn sei nicht durchgeführt worden, sagt Kremer. Das müsse nun in weiteren Studien, insbesondere im Tiermodell, genauer untersucht werden. „Das ist jetzt im Prinzip erst der Startpunkt“, gibt sich der Pathologe bescheiden.

Corona-Studie aus München könnte Vewirrtheit bei Covid-19-Patienten erklären

Dennoch: Die Studie nährt den Verdacht, dass Sars-CoV-2 zumindest bei einem Teil der Patienten das Gehirn befallen kann. Das könnte auch Beobachtungen erklären, die Ärzte bei Covid-19-Patienten gemacht haben. So zeigten einige Symptome wie Verwirrtheit, obwohl ihre Vitalwerte dies nicht erklärten, so Kremer. Dies könnte auf eine Gehirnbeteiligung hindeuten; ebenso, warum einige Genesene nach schwerem Verlauf oft noch lange neurologische Beschwerden wie Schluckstörungen oder Polyneuropathien zeigen. 

Mediziner suchen mit Hochdruck nach einem Medikament oder einem Mittel gegen Covid-19. Vielversprechend schien eine sogenannte Antikörper-Therapie.

*tz.de und Merkur.de sind Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

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