Bertelsmann: Der legale Bigamist

Saftige Enthüllungen haben das Familienleben des 83-jährigen Milliardärs und Bertelsmann-Eigners Reinhard Mohn mit seiner zwanzig Jahre jüngeren Ehefrau und designierten Nachfolgerin Liz Mohn ins Gerede gebracht.

Die Fakten sind hart. Quelle der enthüllten Familiengeheimnisse ist Andreas Mohn, der 1968 geborene jüngste Sohn der Mohns. Seine Geschichte hat Andreas unlängst einem Reporter des «Wall Street Journal» erzählt. Im Unterschied zum Gros der deutschen Presse berichtet die Wirtschaftszeitung aus New York stets sehr kritisch über das einzige nichtamerikanische, globale Medienunternehmen. Vergangene Woche hat nun der deutsche Medienjournalist Thomas Schuler in seinem Buch «Die Mohns» mit den Enthüllungen von Magdalene Mohn, der ersten Ehefrau Mohns, noch nachgedoppelt.

Zugegeben, Familienklatsch ist grundsätzlich Privatsache, doch im Fall der Familie Mohn überwiegt das öffentliche Interesse. Die Mohns sind milliardenschwere Medienkapitalisten, sie kontrollieren Bertelsmann, eines der weltweit grössten Medienunternehmen, und mit der Bertelsmann Stiftung den einflussreichsten deutschen Thinktank obendrein. Das mohnsche Unternehmen füllt die Medienkanäle rund um die Welt: Wer RTL-TV guckt, wer «Stern» und «Spiegel» kauft, wer Justin Timberlake hört, wer Jean Ziegler und Franz Hohler liest, der lässt bei Bertelsmann in Gütersloh die Kassen klingeln.

Wie Andreas Mohn erzählte, nahm der damals noch mit Magdalene verheiratete dreifache Vater Reinhard Mohn 1957 seine minderjährige Angestellte Elisabeth Liz Beckmann zur Geliebten. Nach der Geburt eines Mädchens ging Liz eine Scheinehe mit dem Bertelsmann-Kinderbuchlektor Joachim Scholz ein. «Brigitte kam unerwartet», sagte Andreas Mohn von seiner älteren Schwester, «und im properen Mittelstandsparadies Gütersloh hatte man keine unehelichen Kinder.» Später gebar Liz von Reinhard noch zwei Knaben. Die drei Mohn-Kinder wuchsen mit der Lüge auf, Scheinvater Scholz sei ihr leiblicher Vater. Trotzdem durfte Scholz mit seiner Angetrauten nicht im gleichen Bett nächtigen, er musste mit einem Zimmer im Keller des Hauses vorlieb nehmen – heute schweigt der Gedemütigte eisern.

«Ich liebte Herrn Scholz», kommentiert Andreas die seelische Grausamkeit, die seine Eltern ihm und seinen zwei Geschwistern zugemutet haben, «er hat mich aufgezogen.» Ihren leiblichen Vater haben Reinhards drei uneheliche Kinder in frühester Jugend als Familienfreund «Tata» kennen gelernt, der sich in all den Jahren ab und zu am Abend und am Wochenende als Besucher blicken liess. Damit praktizierte Reinhard Mohn von 1963 bis 1977 das, was die frankophonen Afrikaner südlich der Sahara «le deuxieme bureau» nennen: Zur offiziellen Familie mit Ehefrau Magdalene und den drei ehelichen Kindern Johannes, Susanne und Christiane unterhielt er noch eine zweite illegitime Familie mit Liz und den drei unehelichen Kindern Brigitte, Christoph und Andreas.

Nach der Scheidung von Reinhard und Magdalene 1977 liessen sich auch Liz und Scholz scheiden. 1980 wurde Nesthäkchen Andreas, gerade zwölf, von seiner Mutter über seinen wahren Vater aufgeklärt. 1982 schliesslich haben Liz und Reinhard in kleinstem Kreise geheiratet, ohne allerdings einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Seine drei unehelichen Kinder hat Reinhard adoptiert. Bis heute wohnen Liz und Reinhard getrennt, beide haben ihr eigenes Haus.

Na und? So was kommt, wie man weiss, auch in den besten Familien vor. Mehr noch, für Medienmogule vom Kaliber Reinhard Mohns sind bewegte Familienverhältnisse die Regel. Hat nicht Bertelsmann-Konkurrent Rupert Murdoch seine Frau nach jahrzehntelanger Ehe und einer hässlichen Scheidung verlassen, um sich in die Arme der dreissig Jahre jüngeren Chinesin Wendy Deng zu werfen? Und was ist mit Sumner Redstone, dem Sohn des deutschstämmigen Max Rothstein und Chef des US-amerikanischen Medienkonzerns Viacom? Hat der notorische Schürzenjäger und serielle Ehebrecher in seiner von einem Ghostwriter verfassten Biografie nicht etwa verschwiegen, dass er eine Freundin aufs Bostoner Hotelzimmer abgeschleppt hatte, bevor er beim Hotelbrand schwere Verbrennungen erlitt? Worauf dann seine Frau die Scheidung einreichte.

Auch die mittlerweile verstorbenen deutschen Minimogule aus der Generation von Reinhard Mohn waren als Ehemänner keine Musterknaben. Viermal hat der legendäre Axel Springer sein standesamtliches Jawort gebrochen und überdies noch ein uneheliches Kind gezeugt. Rudolf Augstein, von «Spiegel»-Redaktoren für seine ungenierte Triebabfuhr bewundert, war ebenfalls fünfmal verheiratet. Gerd Bucerius, der vornehme Hanseat und einstige Verleger von «Stern» und «Zeit», pflegte während Jahren zwei parallele Frauenbeziehungen: die eine zu Ehefrau Ebelin, die andere zur Freundin Hilde von Lang. Oder der unvergessene Senator Franz Burda, von dem erzählt wird, seine Ehefrau Aenne habe ihm einmal spätabends das Nudelholz über den Kopf gezogen, als er nach einem Seitensprung nach Hause gekommen sei.

Allein – das Familienleben der Eheleute Mohn hat zwei Besonderheiten, die diesem Fall eine Relevanz über den schadenfreudigen Klatsch hinaus verschaffen. Zum einen hat Patriarch Mohn seine Ehefrau Liz als Familiensprecherin installiert, mit Einsitz in allen relevanten Gremien von Bertelsmann AG und Bertelsmann Stiftung. Und zum anderen hat Liz in ihrem Buch «Liebe öffnet Herzen» ein völlig verfälschtes, um nicht zu sagen verlogenes Bild ihrer bald fünfzigjährigen Beziehung zu Reinhard verbreiten lassen. In diesem Buch blendet Liz sowohl ihre erste Ehe mit Rupert Scholz als auch die Ehe von Reinhard und Magdalene völlig aus. Mit ihrer realitätsfernen Selbstdarstellung hat die Sprecherin der Familie Mohn dem mohnschen Familienkapitalismus eine Glaubwürdigkeitslücke beschert.

Und diese Glaubwürdigkeitslücke trifft auch Reinhard Mohn, der sich seine zweite Ehefrau in jahrzehntelangem Coaching als weibliches Ebenbild geformt hat. Heute ermöglicht die umtriebige Liz dem noch täglich im Büro sitzenden Firmenpatriarchen eine kräfteschonende Einflussnahme im Betrieb. Mohn sagt: «Ich möchte meine Frau begleiten, bis sie achtzig ist», er wäre dann hundert; Liz sagt: «Wir tun beide viel dafür, dass es uns gelingt.»

Wo liegt das Erfolgsgeheimnis?

In seinem Buch «Die Mohns» fokussiert Autor Schuler auf seine Enthüllungen über das Familienleben der Familie Mohn und bettet diese in eine Chronik über den Gang der Ereignisse seit der Gründung von Bertelsmann im Jahre 1835 ein (Reinhard Mohns Grossmutter war die letzte Bertelsmann). Der rein beschreibende Ansatz des Buches hat seine Limiten, so gehen die vielleicht interessantesten und auch wichtigsten Fragen im ganzen Komplex Mohn/Bertelsmann verloren. Nämlich: Wo liegt das Erfolgsgeheimnis von Reinhard Mohn? Wie hat es der stille Mensch aus Gütersloh als einziger deutscher Medienunternehmer geschafft, in die erste Weltliga seiner Branche vorzustossen, während seine gesamte deutsche Konkurrenz von Springer über Holtzbrinck, Burda und Bauer bis hin zu Leo Kirch an diesem Ziel gescheitert ist?

Mohn selber begründet seinen Erfolg damit, dass ethische Prinzipien in seinem Handeln jederzeit den Vorrang vor rein ökonomischen Erwägungen hatten. Ethische Prinzipien, die er im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte in Wort und Tat zu einer Bertelsmann-Unternehmenskultur verdichtet hat. Demnach läge das Erfolgsgeheimnis von Bertelsmann in seiner Unternehmenskultur, einem Thema, zu dem Mohn in Laufe der Jahrzehnte drei Bücher und zahlreiche Reden, Aufsätze und Broschüren geschrieben hat.

Wenn Schulers Buch zu dieser Unternehmenskultur praktisch nichts zu sagen weiss, dann steht er mit diesem Defizit nicht alleine da. Die spärliche Rezeption des schriftlichen Îuvres von Mohn steht im umgekehrten Verhältnis zu seinem Geschäftserfolg. Mohn wird in der Öffentlichkeit fast ausschliesslich als erfolgreicher Unternehmer wahrgenommen, als Theoretiker und Sozialphilosoph hingegen fast völlig ignoriert, abgesehen von seinen firmeninternen Pflichtlesern und einigen Feuilletonisten grosser Zeitungen wie NZZ, «Süddeutsche Zeitung» oder FAZ, die seine Bücher jeweils kurz und heftig verreissen.
Daran ist Mohn zu einem guten Teil selber schuld. Seine Schreibe ist miserabel, das Wort Lesevergnügen kennt er nicht, obwohl seine Verlagsgruppe im vergangenen Jahr 377 Millionen Bücher verkauft hat. Mohn lesen heisst leiden. Wer das Erfolgsgeheimnis Reinhard Mohns ergründen will, muss zuvor durch die Hölle seiner gesammelten Schriften.

Mohns Texte sind Führungsinstrumente mit dem sprachlichen Charme einer Betriebsanleitung für technisches Gerät. «Ich bitte unsere Führungskräfte deshalb dringend», heisst es in seinem Klassiker «Menschlichkeit gewinnt» auf Seite 222, «durch ihr Verhalten zu beweisen, dass sie sich mit dem Zielverständnis unseres Unternehmens identifizieren.»

Doch Mohns Ehrgeiz beschränkt sich nicht darauf, seinen Führungskräften und Mitarbeitern die Bertelsmann-Unternehmenskultur einzuhämmern. Er hat Höheres im Sinn: «Das Ordnungssystem der Unternehmenskultur», schreibt er, «kann in allen Bereichen der Gesellschaft zur Anwendung gebracht werden.» Kein Wunder, dass die mohnschen Weltverbesserungsideen auch schon als Mohnismus tituliert wurden.

Mohns Erfolgsgeheimnis also ist der Mohnismus, und das ist Stoff für ein ganzes Buch. In diesem Buch geht es weniger um das Familienleben der Mohns als um das Wirtschaftsleben der Firma Bertelsmann. Doch dazu brauche ich – gut Ding will Weile haben – noch etwas Zeit. Zum Thema Mohnismus hier nur so viel: Mohn ist ein deutscher Liberalkonservativer, der sein geistiges Erbe durch radikale Reformen bewahren will. Er vermischt das korporatistische Prinzip «Betriebsgemeinschaft» mit den liberalen Prinzipien «Markt, Profit und Wettbewerb». Was dabei rauskommt, ist ein realwirtschaftlich verankertes, reformistisches Denken, das der Erhaltung des Bestehenden mehr Gewicht gibt als der Schaffung von Neuem: Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.

Thomas Schuler: Die Mohns. Die Familie hinter Bertelsmann. Campus Verlag. Frankfurt 2004. Dieses Buch ist noch als E-Book erhältlich

Bertelsmann auf Expansionskurs

Nach zwei Konsolidierungsjahren hat der Gütersloher Medienriese den Internetcrash verdaut und geht wieder auf Expansionskurs. «Alle sechs Unternehmensbereiche sind profitabel, unsere Finanzen sind in Ordnung.

Jetzt konzentrieren wir uns wieder auf Wachstum», sagte Konzernchef Gunter Thielen am vergangenen Diens-tag an der Bilanzpressekonferenz in Berlin. Die Kriegskasse für Akquisitionen enthalte zwei Milliarden Euro.

Ende 2003 beschäftigte Bertelsmann 73 000 MitarbeiterInnen, die einen Jahresumsatz von 16,8 Milliarden Euro erwirtschafteten; der Nettogewinn belief sich auf 1,1 Milliarden Euro, seine Finanzschuld konnte der Konzern im vergangenen Jahr von 2,7 Milliarden auf 820 Millionen Euro reduzieren. In den kommenden Jahren will Bertelsmann seine Umsatzrendite von gut sechs auf zehn Prozent steigern.

Der grösste Bertelsmann-Geschäftsbereich ist RTL-TV, grösster europäischer Privat-TV-Veranstalter mit 25 TV-Stationen und 23 Radiosendern. Auf Rang zwei folgt Gruner + Jahr, Marktführer für Zeitschriften in Europa mit über 120 Titeln. Auf Rang drei steht Random House, Weltmarktführer für Buchverlage mit über 10 000 Neuerscheinungen pro Jahr. Auf Rang vier Arvato, Marktführer für Medienservices in Europa mit zahlreichen Drucke-reien und CD/DVD-Herstellern. Auf Rang fünf BMG Music Group, der kleinste der so genannten «top five music majors». Und schliesslich auf Rang sechs Direct Group, Weltmarktführer für Medienklubs mit 32 Millionen DirektkundInnen.

Regional verteilt sich der Umsatz auf die USA mit knapp dreissig Prozent, auf Deutschland mit dreissig Prozent und auf die restliche EU mit gut dreissig Prozent. Dazu kommen Asien mit drei Prozent, Osteuropa mit einem Prozent und Südamerika.

Wie Konzernchef Thielen sagt, will Bertelsmann in allen Regionen wachsen. Als zentrale Wachstumsregion bezeichnete er Asien, dessen Umsatzanteil mittelfristig auf zehn Prozent gesteigert werden soll. In den Wachstumsmärkten China und Indien ist Bertelsmann heute schon präsent. Der chinesische Buchklub in Schanghai hat 1,5 Millionen Mitglieder, und sowohl in China wie in Indien bestehen TV-Projekte. Kürzlich bekam Bertelsmann als erster ausländischer Verlag das Recht, in ganz China Bücher zu verkaufen. Jetzt will der bislang auf die Region Schanghai beschränkte chinesische Buchklub landesweit expandieren und strebt bis in drei Jahre eine Verdreifachung seiner Mitgliederzahlen an.