Das entscheidende Argument ist jedoch, dass Belohnungen die vorher schon vorhandene Motivation, die sie stärken sollen, langfristig verdrängen. Kinder die für das Malen von Bildern belohnt werden, malten nach dem Wegfall der Belohnungen nicht nur Bilder von schlechterer Qualität, sie malten überhaupt weniger als die Kontrollgruppe. Dieser Effekt wird in der Literatur als Korrumpierungseffekt bezeichnet: Die Belohnung als äußere – extrinsische – Motivation verdrängt die innere – intrinsische – Motivation. Doch warum ist das so? Wenn eine Tätigkeit als Voraussetzung für etwas dargestellt wird, als Mittel, um etwas anderes zu bekommen, dann erscheint sie dadurch weniger wert: Wenn man mich bestechen muss, um zu malen, ist malen offenbar nicht so toll.

Man kann Belohnungen sogar nutzen, um Tätigkeiten gezielt weniger wertvoll erscheinen zu lassen. Wenn Kinder zuerst mit Wasserfarben malen mussten, damit sie später mit Kreide malen durften, malten sie hinterher weniger gerne mit Wasserfarben. Nun könnte man vermuten, dass sich dieser Effekt auch nutzen ließe, um bestimmte Tätigkeiten attraktiver zu machen, also zum Beispiel Kindern pro Pizza, die sie essen, ein Buch als Belohnung zu geben, um die Pizza unattraktiver und das Buch attraktiver zu machen. Doch abgesehen davon, dass die meisten Kinder die Absicht hinter dieser Strategie schnell durchschauen würden, wirkt der Korrumpierungseffekt leider nur in eine Richtung: Er macht nur das Mittel weniger attraktiv. Psychologen erklären diesen Effekt damit, dass Belohnungen das Ziel haben, unser zukünftiges Verhalten zu kontrollieren, und damit unser Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung untergraben.

Auch Lob ist problematisch

Kritik an Kohns Schlussfolgerung, dass Belohnungen grundsätzlich schaden, kommt natürlich von denjenigen, die sich auch heute noch auf ihre Fahnen geschrieben haben, Skinners Idee des operanten Konditionierens weiter zu entwickeln, Sie gehen davon aus, dass der Korrumpierungseffekt nur dann auftritt, wenn die Methode falsch angewendet wird. Die Lösung bestehe folglich nicht darin, weniger zu belohnen, sondern darin, besser zu belohnen. So hatte beispielsweise eine Studie, in der Kinder für das Malen von Bildern belohnt wurden, aus Sicht der Verhaltensanalytiker gleich mehrere Fehler gemacht: Sie hatten die Belohnung vorher angekündigt, es war eine materielle Belohnung, und sie erfolgte für die Tätigkeit selbst. Wichtig sei hingegen, Verstärker nicht vorher anzukündigen, verbal zu belohnen (zu loben) und Leistung oder Bemühen, nicht jedoch die Tätigkeit selbst zu belohnen.

Erstaunlicherweise sind sich Verhaltensanalytiker und Kritiker bei dem ersten Punkt einig: Auch Kohn betont, dass Belohnungen weniger schaden, wenn sie nicht vorher angekündigt werden. Bei der verbalen Belohnung – dem Lob – geht der Streit hingegen weiter: für Kohn, Juul und andere ist auch das Lob problematischer als wir gemeinhin annehmen. Für unseren Alltag jedoch müsste schon allein die erste Erkenntnis, dass Belohnungen sogar aus Sicht der Befürworter nur dann wirken, wenn sie nicht angekündigt werden, dramatische Konsequenzen haben; denn dann fällt ja weg, was vielen im Alltag der entscheidende Hebel zu sein scheint. Dann müssten wir uns doch genau(er) überlegen, wie wir das Kind motivieren könnten, leise zu sein, wir müssten darüber nachdenken, wie Unterricht aussehen könnte, der Schüler begeistert, ihre Aufgaben zu erledigen und wie wir Arbeit so organisieren, dass sich die Mitarbeiter engagieren – ohne ihnen vorab eine Belohnung versprechen zu können.

Vielleicht sind Belohnungen uns einfach zu selbstverständlich geworden. Im Grunde haben nicht wir diese Idee, sondern sie hat uns. Es ist an der Zeit, das zu ändern.